In seinem Blog "Taschwer forscht nach" berichtete Klaus Taschwer unter dem Titel "Träume eines Hobbyhistorikers werden wahr" von seinen Erfahrungen mit der Suche in in- und ausländischen Archiven. Wegen der darin geäußerten Kritik am Österreichischen Staatsarchiv verweist dessen Generaldirektion, Doz. Dr. Wolfgang Maderthaner und HR Mag. Erwin Wolfslehner, auf folgendes Protokoll der seinerzeitigen Archivsuche:

Der Lauf der Dinge und die Dankbarkeit oder: Wie unbürokratisch und schnell ist die Bürokratie?

12.9.2012, 23h31: Archivalienbestellung per e-mail durch Dr. Taschwer

13.9.2012, 12h11: Antwort der zuständigen Referentin und Bereitstellung des Materials

14.9.2012: Einsichtnahme durch Dr. Taschwer

20.9.2012, 15h32: Nach- und Neubestellung durch Dr. Taschwer

20.9.2012, 18h29: Antwort der zuständigen Referentin und Auskunft über die konkrete Quellenlage; Befassung der für einen Teil der Bestellung zuständigen Kollegin; Bereitstellung des Materials

20.9.2012, 22h01: Dankschreiben von Dr. Taschwer an die beiden Referentinnen

5.10.2012: Einsichtnahme durch Dr. Taschwer

Klaus Taschwer antwortet darauf:

Wie Sie richtig schreiben, habe ich mich für prompte und kompetente Hilfe bei der Suche nach und Bereitstellung von Akten im ÖStA erstens per Mail ausdrücklich bedankt und zweitens darauf hingewiesen, dass es in fast jedem Archiv hilfsbereite Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gibt. (Die Daten und Inhalte des Mail-Verkehrs hätten Sie gerne auch von mir haben können.)

Online-Zugang der Bestandsverzeichnisse

Das ändert allerdings nichts an einem meiner grundsätzlichen Kritikpunkte: dass nämlich die Online-Suche nach Archivbeständen im Staatsarchiv im Vergleich zu vielen anderen Archiven beschränkt ist. Jene Bestände, die ich dank der Hilfe der Kolleginnen einsehen konnte, waren online weder abruf- noch bestellbar. Und der Fund der Akten der "Biologischen Versuchsanstalt" im ÖStA selbst war, wie geschrieben, ein reiner Zufallstreffer. Wenn freilich alle Bestände erfasst und online einsehbar wären, wie das etwa in Amsterdam der Fall ist, wäre Vieles leichter – und eine solche Erfassung würde womöglich auch die prompten Hilfestellungen Ihrer MitarbeiterInnen ersparen.

Ich darf noch einmal einige weitere Kritikpunkte meines Artikels wiederholen, die Sie in Ihrem Antwortschreiben nicht weiter für berücksichtigenswert erachteten, und würde mich diesbezüglich um Antworten freuen. Wobei ich noch hinzufügen möchte, dass so gut wie alle geschilderten Erfahrungen (bis auf das Warten vor der Tür, aber auch dafür kann ich gerne die betroffene deutsche Kollegin nennen) meine eigenen waren, der Text aber nach Gesprächen mit rund einem Dutzend HistorikerInnen und ÖStA-BenützerInnen, insbesondere DissertantInnen, entstanden ist, deren Leidensdruck höher ist als der meine, da ich ja kein professioneller Historiker bin. (Zudem scheinen die meisten Postings unter dem Text und an mich persönlich adressierte E-Mails meine Erfahrungen zu bestätigen.)

Die Handschuhpflicht

Von so gut wie allen Archiven im In- und Ausland weiß ich aufgrund eigener Erfahrung, dass dort die Handschuhpflicht entweder nie eingeführt oder wieder abgeschafft wurde, weil Handschuhe aus konservatorischen Gründen nichts bringen oder sogar gegenteilige Wirkung haben. Vor allem aber sind sie (etwa zum Tippen nebenbei, aber auch zum Blättern selbst) extrem hinderlich und lästig. Wenn Sie die wissenschaftlich begründete Haltung etwa der British Library nicht teilen (vgl. www.bl.uk/aboutus/.../videos/whitegloves.pdf), dann würden mich Ihre Gegenargumente interessieren, mit denen Sie Ihre Handschuhpflicht verteidigen.

Das Fotografierverbot

Wenn man schon solche mir nicht nachvollziehbaren "Schutzmaßnahmen" ergreift, dann frage ich mich aber auch, warum man am ÖStA nicht fotografieren, sondern gegen Geld kopieren und demnächst scannen darf, zumal die mechanische und lichttechnische Belastung der Dokumente dabei nicht ganz gering ist, wie mir als Laien und Beobachter vor Ort auffiel. Konkreter gefragt: Was hindert Sie daran, vom strikten Fotografierverbot am ÖStA (zumal das Fotografieren dank Smartphones längst auch lautlos möglich ist und ein solches "Ablichten" ohne Blitz den Dokumenten jedenfalls weniger schadet als das Kopieren) abzurücken?

Lassen sich mit dem eingenommenen Kopiergeld und den Kosten für Reproaufträge wenigstens einige MitarbeiterInnen bezahlen? Ich hoffe es und hätte eine Anregung: Wie ich selbst und aus zahlreichen Gesprächen mit KollegInnen erfuhr, die ihre Kopierkosten theoretisch über Projekte rückabrechnen könnten, wäre es schön, wenn es wieder jemandem am ÖStA gäbe, der Bestätigungen über Kopien und Scans ausstellen würde. (Eine vom FWF finanzierte KollegIn hat gerade eine ÖStA-Rechnung über 600 Euro für einen Repro-Auftrag erhalten, den sie in Auftrag gab, weil sie ihre vor Ort gemachten Kopien nicht abrechnen konnte. Weil diese Kollegin ihre Bestände digital verwaltet, muss sie die teuer vom ÖStA-Personal erstellten Kopien, auf die sie zwei Monate wartete, jetzt auch noch einmal abfotografieren...)

Grundsätzlicheres

Eigentlich ging es mir mit dem Text aber nicht nur um schlechte Erfahrungen mit dem ÖStA und ein verbesserbares Service in etlichen österreichischen Archiven, sondern um Grundsätzlicheres. Ich denke, dass nicht nur die Qualität der historiografischen Diskussion und Forschung, sondern auch der Umgang eines Landes oder einer Institution mit seiner/ihrer Geschichte von der Zugänglichkeit und der "Bedienungsfreundlichkeit" der jeweiligen Archive abhängt. Und die lässt in Österreich leider immer wieder zu wünschen übrig, von der Online-Aufbereitung der Bestände bis zu den Öffnungszeiten. (Das Stadtarchiv in Amsterdam hat übrigens auch Samstags und Sonntags von 12:00 bis 17:00 Uhr offen.)

Sie werden mir vermutlich entgegnen, dass solche Serviceleistungen eine Frage des Budgets und der Anzahl der MitarbeiterInnen sind. (Das Stadtarchiv in Amsterdam hat, wie ich recherchierte, insgesamt 150 MitarbeiterInnen – für weitaus geringere Archivbestände als jene des ÖStA.) Wenn mein Artikel dazu beitragen kann, auf mögliche budgetäre Defizite von Österreichs Archiven im internationalen Vergleich aufmerksam zu machen, dann soll mir das nur recht sein.

Mir jedenfalls ist – gar nicht einmal aus Eigennutz – sehr daran gelegen, dass wir in Österreich gut funktionierende Archive haben. Wie mir scheint, wird deren Bedeutung weder in der öffentlichen noch in der akademischen Diskussion ausreichend gewürdigt. Vielleicht trägt mein kleiner Text (und dieser Brief) auch dazu bei, dass sich auch an diesem Missstand etwas ändert. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 8. 5. 2013)