Der Eurovisionszirkus ist Loreen sei Dank in Malmö gelandet. Somit natürlich auch ich, der dieses Jahr hier wieder vom Eurovision Song Contest aus Malmö bloggen wird. Bevor wir uns aber der 2013 Edition widmen, blicken wir noch einmal zurück. Denn 2012 fand die größte Musikshow der Welt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku statt. Und das brachte das Gastgeberland mit seinem Präsidenten Ilham Alijew in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Vor allem Menschenrechte und Pressefreiheit waren breit diskutierte Themen.
Rasul Jafarow war einer der Hauptaktivisten der Menschenrechtsbewegung Aserbaidschans und veranstaltete vor einem Jahr "Sing for Democracy", um auf die politischen Defizite seines Landes hinzuweisen.
Schreuder: Lieber Rasul, es ist jetzt ein Jahr seit dem Eurovision Song Contest in Baku vergangen. Es gab zahlreiche Medienberichte über die Menschenrechts- und Demokratieprobleme in Aserbaidschan. Wie siehst du das alles ein Jahr danach?
Jafarow: Die Aufmerksamkeit ist im Mai 2013 natürlich nicht mehr so hoch wie im Mai 2012. Aber auch jetzt noch fragen hin und wieder Journalisten nach, wie es nun mit Menschenrechten und Pressefreiheit in Aserbaidschan aussieht. Aber vermutlich wäre es gut, wenn Aserbaidschan wieder gewinnen würde, allerdings mag ich unseren diesjährigen Beitrag nicht.
Schreuder: Wenn du die Situation 2012 und dieses Jahr vergleichst: Gab es Verbesserungen?
Jafarow: Tatsächlich haben sich manche Dinge direkt nach Eurovision positiv verändert. Aber dann passierten so viel mehr negative Dinge, dass ich die positiven schon fast wieder vergessen habe. Die Anzahl politischer Gefangener hat sich dramatisch erhöht, denn es sind jetzt schon über 100! Zum Beispiel Ilgar Mammadov, Vorsitzender der "Republikanischen Alternativen Bewegung" und Präsidentschaftskandidat. Aber es sind auch sieben Menschen der NGO "NIDA Civic Movement" im Gefängnis, sieben Journalisten und zwei Menschenrechtsaktivisten. Wir dürfen uns noch immer nicht im Zentrum Bakus versammeln oder gar demonstrieren. Der Druck auf Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, politische Aktivisten oder Online Aktivisten wird immer größer.
Schreuder: War es also nur ein kurzer Effekt nach Eurovision? Ist das internationale Interesse nur noch so gering?
Jafarow: Ja, es sind nur noch wenige Journalisten, die sich auch jetzt noch für diese Fragen und für Aserbaidschan interessieren.
Schreuder: Die spätere schwedische Siegerin in Baku, Loreen, war die einzige aller teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen, die sich für eure Arbeit interessierte und oppositionelle Gruppen traf. Die Deutsche Anke Engelke sagte, als sie die deutschen Punkte durchgab, live im Fernsehen "It is good to be able to vote and to have a choice." Haben diese Aktionen geholfen?
Jafarow: Ja, denn solche Aktionen haben vor allem junge Menschen inspiriert sich oppositionellen Bewegungen anzuschließen, sie zeigten dass mehr Menschen so denken und dass sie mit ihrem Frust nicht alleine sind. Auch half es sehr, dass wir uns auf Loreen und ihre Unterstützung berufen konnte. Solche Aktionen sollten noch viel öfter stattfinden.
Schreuder: Ich werde die zehn Tage, die ich in Baku verbrachte, nie vergessen. Ob ich nun Oppositionelle, Repräsentanten des Staates, Polizisten, Journalisten oder einfach Menschen auf der Straße traf: ich erlebte überall unglaubliche Freundlichkeit, Wissbegierde und Hilfsbereitschaft. Und da dachte ich mir oft: ein so freundliches und weltoffenes Land, das müsste doch helfen, damit dieses Land auch demokratisch wird?
Jafarow: Wir haben wunderbare Menschen hier! Gastfreundschaft ist eines der wesentlichsten Charaktereigenschaften eines Aserbaidschaners. Außerdem haben wir auch eine demokratische Tradition! Kurz nach dem Ersten Weltkrieg, 1918 bis 1920, waren wir eine unabhängige demokratische Republik. Unsere Leute waren tapfer im Kampf gegen die Sowjetunion Ende der Achtziger Jahre im 20. Jahrhundert. Trotz der Repressionen, die wir jetzt erleben, haben wir wachsende Jugendgruppen, immer wieder neue Oppositionsgruppierungen, tapfere und junge Journalisten und Blogger. Die Gesellschaft Aserbaidschans ist bereit für mehr Demokratie. Wenn das Regime das nicht begreift wird sie nicht einmal in unseren Geschichtsbüchern landen.
Schreuder: Aber wie hoch ist die Unterstützung für die Oppositionsgruppen tatsächlich? Ich habe sehr unterschiedliche und verblüffende Erfahrungen gemacht. Ich habe etwa junge Studenten getroffen, die fließend Deutsch und Englisch sprachen und zeitweise auch in Wien studierten, und die sagten mir: "Die Opposition ist doch nur verärgert, weil Alijew viel mehr Wähler hat. Die machen aber gar keine gute Politik, denn wenn sie das tun würde, hätten sie ja mehr Wähler." Oder ein Polizist sagte mir: "Wissen Sie, wir sind ein junges Land, eine junge Demokratie. Wir sind bei weitem noch nicht perfekt. Es braucht seine Zeit, aber wir lernen."
Jafarow: Mit letzterem Argument kann ich gar nichts anfangen. Da sagt die Regierung auch immer quasi als Entschuldigung. Als Aserbaidschan 1991 unabhängig wurde, gab es mehr Freiheit und mehr Demokratie. Sogar in den ersten Jahren unter Haydar Alijew war es viel besser. Wir hatten damals unabhängiges Fernsehen und Radio, es gab keine Journalisten im Gefängnis und es gab Versammlungsfreiheit. Ich glaube auch nicht, dass die Unterstützung für Ilham Alijew in der Bevölkerung wirklich so groß ist. Sie sehen die Realität, haben aber Angst öffentlich Kritik zu äußern. Aber das ändert sich! Immer mehr Menschen sind sich bewusst, dass sie gewisse Rechte haben, was Demokratie bedeuten kann. Interessanterweise verlieren auch die alten Oppositionsparteien an Unterstützung, dafür wachsen junge Bewegungen enorm!
Am 13. Mai ist Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew übrigens auf Staatsbesuch in Österreich - siehe www.bundespraesident.at. (Marco Schreuder, derStandard.at, 10.5.2013)