Wien - "Es gibt keinen Konflikt, dem nicht gewisse Vorurteile oder Feindbilder zugrunde liegen", ist Wolfgang Benz, emeritierter Professor der Technischen Universität Berlin und ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung überzeugt. "Und wie bei anderen Dingen gibt es auch bei Vorurteilen Konjunkturen." Während klassisch antisemitische Feindbilder kaum mehr funktionieren würden, seien etwa Ressentiments gegen Muslime sowie Roma und Sinti derzeit stark im Zunehmen. Mit diesen Phänomenen beschäftigt sich die Konferenz "Ressentiment und Konflikt" am Montag und Dienstag. Wissenschaftlicher Leiter ist Benz, veranstaltet wird die Tagung vom Sir Peter Ustinov-Institut für Konfliktforschung in Wien.

"Ängste sind vor allem Projektionen"

"Unsere Großeltern waren etwa noch vom Gottesmordvorwurf gegenüber den Juden geprägt", erklärte Benz im Gespräch. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stünden aber klar muslimische Feindbilder im Vordergrund. Auch die Armutsimmigration und Zuwanderung von sozial unterprivilegierten Sinti und Roma würde Projektionsfläche für Vorurteile und Feindzuschreibungen bieten. "Der mitteleuropäische Bürger sieht sich von einem riesigen Heer bettelnder, stehlender, eventuell sogar raubender und mordender Immigranten bedroht. Er hat Angst und weiß nicht, dass diese Ängste vor allem Projektionen sind."

Die Konferenz beschäftigt sich mit diesen Vorurteils-Konjunkturen, möchte aber auch einen Blick auf die Traditionen der jeweils aktuellen Feindbilder werfen. "Wir glauben nicht daran, dass etwas plötzlich neu entsteht", meinte Benz. Es gebe bloß Nährböden, auf denen Ressentiments besonders gut gedeihen würden - etwa die aktuell angespannte wirtschaftliche Lage. Vorurteile seien oft von Angst um Besitz oder Kultur getrieben, von dem Gedanken, eine Minderheit würde einem "etwas wegnehmen", schilderte Benz.

Betroffene Minderheit austauschbar

"Wenn es einer Gesellschaft gut geht, muss sie keine Ängste haben und daher auch keine Minderheiten als Schuldige in Anspruch nehmen", sagte der Experte. Denn die Vorurteilsforschung zeige klar, dass Ressentiments gegenüber Minderheiten nicht aufgrund deren Verhaltens entstehen würden, sondern "Konstruktionen im Kopf der Mehrheit sind." Die Ängste seien immer vorhanden und bleiben meist gleich, die betroffene Minderheit sei dagegen austauschbar - früher seien es großteils Juden gewesen, heute Muslime.

Das habe mit Religion jedoch wenig zu tun - wie man etwa am Beispiel der meist sehr christlichen Roma und Sinti erkennen könne. "Es kann jede beliebige soziologische Gruppe treffen." Allerdings diene Religion als Konstruktionsmittel: Wurde vor 9/11 eher von Türken oder Arabern gesprochen, seien es heute im gesellschaftlichen Diskurs vermehrt Muslime. "Auch Spannungen, die eigentlich eher aus sozioökonomischen Statusunterschieden entstehen, werden gerne ethnisiert", erklärte Benz.

Ein "sehr schnell erregbares Zeitalter"

"Es gibt dann auch Autoren, die ihr Geld mit Panikmache verdienen", so der Historiker. Auch die Demokratisierung des Meinungsvertriebs und -empfangs durch das Internet trage in unserem "sehr schnell erregbaren Zeitalter" zu Vorurteilsbildung bei. Daher werden auch Neue Medien Teil der Tagung sein. "Besonders wichtig ist das Modell der Gleichsetzung und Verallgemeinerung", schilderte Benz den Mechanismus der Ressentiment-Bildung. Lese man einmal von einem Raubüberfall durch Angehörige einer gewissen Minderheit in der Zeitung, liege der Schluss nahe, die gesamte Minderheit als bedrohlich wahrzunehmen.

Die Konferenz möchte sich aber nicht nur mit der aktuellen Situation bei verschiedenen Minderheiten oder in unterschiedlichen Ländern wie etwa Ungarn, sondern auch mit möglichen Lösungsansätzen auseinandersetzen. Deshalb stehen auch Menschenrechte, Schutz vor Diskriminierung, das gegenwärtige Integrationsklima und die Rolle des Staates auf dem Programm. (APA, 13.5.2013)