50.000 Euro an Kosten fallen während eines trivialen Mobbingsverlaufs an, sagt Rotraud A. Perner.

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"Mobbing tarnt sich hinter vielen Masken."

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Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen, stellte Ludwig Wittgenstein im letzten Satz seines Tractatus logico-philosophicus fest, und manche meinen, das war vor allem ein Postulat - oder auch eine Kapitulationserklärung - an sich selbst.

Die Alternative könnte ja darin bestehen, sich um Worte zu bemühen - denn manchmal fehlt nur ein klarer Begriff dessen, wovon man nicht zu sprechen wagt. Von Mobbing beispielsweise.

Früher sagte man in vorwissenschaftlicher Sprache, jemand sei einem aufsässig, wollte einen wegdrängen - und wenn man diese Erfahrung wiederholt zu machen glaubte und sich dagegen wehren wollte, bekam man oft die Laien-Diagnose Paranoia querulans verpasst. Dies ist meine Erfahrung aus über vierzig Jahren Supervision und Coaching von Personen, die sich in Arbeitsfeldern mit hohem Konkurrenzdruck behaupten müssen; darunter befanden sich überproportional viele Universitätslehrende.

Das Phänomen Mobbing

1993 war es, als der Stockholmer Universitätsprofessor Heinz Leymann aufzeigte, dass durch die Definition des für die Allgemeinheit neuen Begriffs "Mobbing" Täter und Zuschauer ihre gewohnte Machtstrategie verloren, sich das alleinige Recht zur Deutung einer Situation vorzubehalten: dass es nämlich das Verhalten des Opfers gewesen wäre, das dessen missliche Lage heraufbeschwören hätte. Durch seine arbeitspsychologischen Forschungen konnte objektiv erkennbar nachgewiesen werden, dass und wie ein Mobbingprozess abläuft (Leymann 1993: 14).

Leymann definierte Mobbing als negative kommunikative Handlungen (von einer oder mehreren anderen), die gegen eine Person gerichtet sind, oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen. Er präzisierte: mindestens einmal pro Woche über einen längeren Zeitraum, z.B. ein halbes Jahr, und er differenzierte in Angriffe

a. auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen

b. auf die sozialen Beziehungen,

c. auf das soziale Ansehen

d. auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation

e. auf die Gesundheit (Leymann 1993: 21 f.). 

Nach meiner Erfahrung beginnen die meisten Mobbingopfer bereits nach zwei bis drei Monaten zu somatisieren: körperliche Angstzustände, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Haut- und Gelenkserkrankungen sind "nur" die häufigsten Symptome. Manche verlieren den gesamten Lebenswillen.

Schwache Nerven und kein "Leistungsträger"

Mobbing entspricht der Gewaltdefinition des norwegischen Friedensforschers und Trägers des Alternativen Nobelpreises, Johan Galtung: Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle (Posern 1992: 37). Was geschädigt wird, ist das Immunsystem. Das kann man über die Abnahme und Analyse von Blut nachweisen. Aufwändiger ist der Nachweis von Stresshormonen in Schweiß und Tränen. Länger andauernde psychosomatische Reaktionen werden aber leider oft als zusätzliche Waffe gegen die derart psychisch Attackierten verwendet: er oder sie habe eben schwache Nerven (Neurasthenie hieß das früher) und sei daher kein "Leistungsträger".

Mobbing tarnt sich hinter vielen Masken: "passive" Strategien bestehen beispielsweise in Schweigeblockaden, d.h. der Verweigerung von sozialer Einbindung, Steigerungsstufe Zurückhalten von berufswichtigen Informationen, nächste Steigerung: Verstecken und Zerstören von unverzichtbaren Arbeitsbehelfen. Mobbing im universitären Bereich kann aber auch im Verbot, Fachtagungen zu besuchen, zu referieren, zu publizieren, zu operieren etc. bestehen (alles Fälle aus meiner Praxis wie auch die folgenden). Die aktiven  Formen umfassen Verweigerung von Unterschriften bei Einreichungen, Gegeninterventionen, ungerechte Negativbeurteilungen, üble Nachrede bis Verleumdungen und das "akademische Erstnachtsrecht": wenn die übergeordnete Person die Namensnennung von MitarbeiterInnen in Publikationen "vergisst" – weil es Fürsten ohnedies als selbstverständlich ansehen ist, dass man ihnen ehrenamtlich zu "dienen" hat, oder akquirierte Drittmittel sich selbst zurechnet und Proteste als Selbstdisqualifikation durch Nichteinhaltung der "Spielregeln" umdeutet.

All dies zehrt an der Selbstachtung, kostet Lebenskraft (die man dann für die tagtäglichen Selbstheilungsbemühungen benötigt) oder Finanzkraft (wenn man professionellen juristischen oder psychotherapeutischen Beistand wählt).

Aus salutologischer Sicht ist zu raten, sich aus dem Feindesfeld zurück zu ziehen – aber genau das ist es ja, was die Mobber wollen: diejenigen, die "anders" sind – tatsächlicher aber meist schlicht begabter, innovativer, erfolgreicher – zu beseitigen. Und das, wo sich langsam herumzusprechen beginnt, dass Diversity in der zunehmenden Notwendigkeit multikulturelle Kooperation einen Wettbewerbsvorteil schafft (und das nicht nur was wertschätzende und damit motivierende und salutogene Kommunikation betrifft).

Ressourcenvernichtung

Mobbingmethoden sind nicht nur unkollegial und der akademischen Spielregeln unwürdig – sie stellen auch eine Ressourcenvernichtung dar. Denn: was der Arbeitgeberin Universität möglicherweise an Leistung der gemobbten Person entgeht (denn meist strengen sich diese zumindest die erste Zeit besonders an, bevor sie sich erschöpfen), ist nur ein Minimum im Vergleich zu der Zeit und Energie, die die Mobbber aufs Mobben verwenden.

Die Bezifferung der Kosten eines trivialen Mobbingsverlaufs samt Nachfolgeaufwendungen z.B. für Entschädigungszahlungen, Personalsuche, Einschulung etc. differiert; üblicherweise rechnet man für eine durchschnittlich qualifizierte Person mit ca. 50.000 Euro; je höher qualifiziert, je einzigartiger das Berufsprofil der Person ist, desto höher entwickeln sich diese Kosten – und dabei bleibt noch die Minderleistung der Mobbenden unberücksichtigt – und der entgangene Gewinn für das Arbeitgeber-System und den Staat obendrein.

Prävention und Intervention

Beratungsstellen für Mobbingsopfer sind nur bedingt wirksam: sie helfen zwar meist, unhöfliches Benehmen oder Stressverhalten von Mobbing im juristischen Sinn unterscheiden zu lernen, schicken aber leider nur zu oft Mobbingopfer stellvertretend für eigene abgewehrte Widerstandsimpulse "in den Krieg" – nämlich gegen übermächtige Vorgesetzte. Und: sie haben keine Öffentlichwirksamkeit.

Grundsätzlich wird Mobbingprophylaxe als Chefsache angesehen (obwohl es auch Staffing – Mobbing von unten nach oben – gibt!). Es gehörte also zur Vorbereitung auf Führungsaufgaben, genaue Kenntnis über Mobbinganzeichen zugleich mit den primär sozialen Kompetenzen von Techniken sprachlicher Konfliktbereinigung zu erwerben. Juristische Problemlösungen ermöglichen keine psychosozialen Lernprozesse – für alle Beteiligten (auch wenn das oft noch geglaubt wird).

Benennung der objektiven Wahrheit

Meiner Erfahrung nach hilft aber oft schon die klare Benennung der objektiven Wahrheit: man beschreibt exakt die – nachweislichen, daher dokumentierten – Geschehnisse bevor sie sich ausweiten und zeigt auf, dass diese der juristischen Definition von Mobbing entsprechen.

Gegen Gewalt hilft nur Öffentlichkeit – interne wie externe. Deswegen ist eine breit, daher interdisziplinär, zugänglich angelegte Sitzungskultur unverzichtbar, in der Bericht abgelegt und auf Fehlentwicklungen hingewiesen werden kann, begleitet von einem regelmäßigen Monitoring durch unabhängige und geschlechterparitätisch besetzte Kontrollpersonen. Denn noch immer trifft es besonders Frauen, wenn sich diese, aus welchen Gründen auch immer, nicht so kooperativ zeigen, wie es manche Vorgesetzte, aus welchen Motiven auch immer, erwarten. (Rotraud A. Perner, derStandard.at, 14.5.2013)