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Vor langer, langer Zeit erschuf ein Teufel einen Spiegel, der alles Schöne und Gute hässlich aussehen ließ. Eines Tages fiel er zu Boden und zersprang in tausende Stücke. Einige davon trafen einen jungen Mann im Herzen und im Auge. So geschah es bekanntlich in Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin". Kalt wie Eis war dessen Protagonist fürderhin, bis ihn die Liebe rettete.

Ähnliches könnte dem Hauptdarsteller in Ernst-Wilhelm Händlers Buch "der Überlebende" widerfahren sein. Den Ich-Erzähler, einen deutschen  Ingenieur, treibt eine  Mischung aus  Ehrgeiz, Entdeckerwille, Erfindergeist und Lust am Verbotenen an. Als  Chef eines Leipziger Werks für Elektrotechnik unterhält er ein sehr, sehr geheimes Labor. Getüftelt wird in dieser Fabrik in der Fabrik  an intelligenten Robotern. Diese S-bots sollen der umfassenden Kooperation mächtig werden und rücken dafür in nächtlichen Sessions eines eingeweihten Teams zu diffizilen Aktionen aus. Erfolg und Misserfolg wechseln sich in dieser Mission ab.  Das Ziel ist für den Ingenieur klar: Die Industrieroboter sollen die Realität durch eine "Doppelgängerin ohne Menschen" ersetzen.

Auf dem Weg zur Umsetzung dieser Vision ist dem Mann in Händlers Mischung aus Wirtschaftskrimi und Science-Fiction nichts heilig. Mitarbeiter, Kollegen und Kolleginnen, auch seine künstlerisch tätige Frau sind ihm verdächtig, ihn am Weg zum Ziel zu hindern. Und weil er, der Technik-Freak weiß, wie es geht, werden im Umkreis alle umfassend und schamlos ausspioniert. Wer im Verdacht steht, wird beiseite geräumt. Natürlich auf höchst voll- und verkommene Art und Weise. Gestorben, geforscht, gemordet wird hier ästhetisch. Schweiß, Blut und Tränen stinken und berühren nicht. Dafür wird bei Händler klug sinniert. Über technische Errungenschaften, Überwachungsmethoden, physikalische Ereignisse, Konzern-Interessen, Weltmarkt-Gepflogenheiten, Finanzierungs- und Wettbewerbsfragen, Gott und die Welt und die Schöpfung.

Wie es sich für ein Werk in dieser Kategorie geziemt, geht der Schöpfer in seinem Schöpfungsakt vollkommen auf. Der Held beschreibt sich selbst als böse und lässt auch in seinen Handlungen keinen Zweifel aufkommen: Der fatalen Obsession fällt alles Menschliche zum Opfer. Auf ein märchenhaftes Ende muss der Leser bei Händler verzichten. Rettung gibt es für den Überlebenden nicht. Vermutlich ganz wie im wirklichen Leben, denn als Literat, Philosoph und Unternehmer kann Händler sich auf persönliche Erfahrungen berufen. (rb, derStandard.at, 15.5.2013)