Filme wie "Where the Trail Ends" zeigen: Selbst Argentinien ist nicht zu weit weg für Biker, die dem Traum von einsamen Pfaden näherkommen wollen.

Foto: Red Bull Content Pool / John Wellburn

SDie Staubfahne ist anfangs kaum zu sehen. Erst als der Hubschrauber näher zum Berg fliegt und der Kameramann in eine Halbtotale zoomt, rückt sie ins Zentrum. Sie scheint zu wachsen - schnell und abwärts. Einen braunrötlichen Hang entlang, zwischen Felsen und Klippen hindurch. Manchmal schnurstracks drüber.

Vorn, an der Spitze der Staubwolke, ist ein kleiner Punkt. Ein Mensch auf einem Fahrrad. Und dieses Fahrrad brettert im Affentempo einen derart steilen Hang hinunter, dass er sogar zu Fuß nur schwer zu bewältigen wäre. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, kommt ein Umschnitt. Helmkamera: Jetzt fliegen dem Zuschauer Steine und Felsen entgegen, während der Biker abwärts rast.

"Wow", sagt ein Unbekannter hinter Christof Schett. Er hat zwischen zwei Flugzeugsitzen durchgeschaut, auf den Laptop des Osttiroler Outdoorfreaks und Reiseveranstalters: "Is that you? And: Is this real?" Schett klappt den Rechner zu: Nein, das sei nicht er. Aber die Aufnahmen sind echt. Where the Trail Ends heißt der Film aus dem Jahr 2012. Er gilt in Schetts Welt derzeit als Maßstab für alle anderen Rad-Adrenalinvideos: gedreht mit Hubschraubern, Schnellbooten und einem Riesenbudget. Mit den bekanntesten Downhillradfahrern der Welt, die da Dinge tun in Kanada, Argentinien, China und Nepal, die man als Sterblicher lieber bleibenlassen sollte.

Im Flieger zur großen Freiheit

Schett weiß, dass Vernunft und Spaß nicht immer Freunde sind. Er ist spezialisiert auf Trips, die viele Menschen unvernünftig fänden. Im Flieger sitzt er, weil er von einer Freeride-Ski-Woche aus Marokko heimfliegt. Und der Unbekannte hinter ihm gehört zu einer anderen Reisegruppe, die ebenfalls gerade in Nordafrika freeriden war: Solche Outdoortrips boomen - nicht zuletzt wegen des "Will ich auch"-Effekts von Filmen, die die große Freiheit im Schnee oder auf dem Rad zeigen.

Schett ist einer, der das erkannt hat, und mit seinem Unternehmen Yellowtravel nach Ski- nun auch Bike-Freeridetrips anbietet. Nach Marokko oder Norwegen. In die Abruzzen oder nach Island: "Es ist dieselbe Klientel und die Mechanismen funktionieren fast gleich." Der Unterschied zum klassischen Skitouren- oder Mountainbike-Urlaub? "Es geht primär ums Abfahrtserlebnis." Zuvor bedient man sich aller nur möglichen Aufstiegshilfen - und verlässt dann die geregelten Zonen. "In den USA gibt es angeblich sogar schon Heli-Bike-Anbieter."

Nicht nur, was Akteure und Regionen angeht, sind die Parallelen zum Skifahren unübersehbar. Auch die Ästhetik und Inszenierung von Heldentum, Material und Marken sind gleich. In Bike-Magazinen ist der Downhillfahrer auf einem dramatisch schmalen Pfad oder im freien Flug das Bild, das es zu zeigen gilt. Auf dem Forstweg durch schöne Landschaft fahren, war gestern. Genauso begann vor wenigen Jahren die Freeride-Welle. Spätestens im vergangenen Winter war sie Mainstream. Das bestätigt auch Stefan Becker: "Das Herumradeln mit der Masse auf Forst-Highways ist wie Skitourengehen auf überfüllten Routen: nett - aber eben kein Abenteuer mehr."

Karten für die schmalsten Pfade

Becker arbeitet für eine Agentur, die zahlreiche internationale Outdoorlabels betreut. Außerdem ist der Innsbrucker einer der Autoren der Supertrail Maps. Das ist eine internationale Kartensammlung für Singletrails, also Pfade, die so schmal sind, dass man darauf nicht nebeneinander fahren kann. Abfahrten und Routen in der Schweiz, in Frankreich auf den Balearen und in Österreich gibt es da. Eine erste Version kam vor zwei Jahren heraus - mittlerweile sind 20.000 Exemplare verkauft. Die Freeride Maps - ein nach dem gleichen Konzept erstelltes Parallelprodukt mit Skikarten für das Gelände - gehört heute bereits zur Standardausrüstung vieler Powderfreaks.

Becker sieht noch mehr Parallelen: "Das Material öffnet das Gelände für alle: Im Schnee sind es superbreite Skier - auf dem Rad die modernen Komponenten. Was vor 15 Jahren als 'superschwer' galt, ist heute oft nur noch 'mittel'."

Doch der Trend wirft auch rechtliche Fragen auf. "Skitourengeher berufen sich auf das Wegerecht, aber Radfahren ist nicht Gehen", erklärt Peter Gebetsberger, Abteilungsleiter für Sport bei den Naturfreunden Österreich. Während Tourengeher - vereinfacht gesagt - als Wanderer das freie Gelände nutzen, brauchen Radfahrer die Erlaubnis von Wegerhaltern und Grundeigentümern. Seit den 1980er-Jahren ringen Touristiker, Waldbesitzer, alpine Vereine, Förster, Gemeinden, Länder, Versicherer und andere Interessengemeinschaften deswegen miteinander.

Mittlerweile gibt es vielerorts regionale Lösungen - in der Regel sind erlaubte Radrouten als solche ausgeschildert - doch der Drang, in möglichst isolierten Zonen möglichst schmale Pfade abwärtszupflügen, birgt immer neues Konfliktpotenzial. Gebetsberger ist aber Optimist: "Das ist auch eine Riesenchance." Die neuen Wilden würden ja nur eines wollen: runterfahren. "Darum schießen überall Bikeparks aus dem Boden: Das hält den Trend in geregelten, legalen Bahnen."

Freilich: Hinter dem Zaun ist das Gras immer grüner. Das weiß auch Hanna Moser von der Alpenvereinsjugend: "Viele Regionen wollen sich ja mit spektakulären Bildern präsentieren. Darum boomen etwa Enduro-Rennen. Dabei muss man sich den Weg nach oben selbst erarbeiten - und den Weg hinunter." Aber das geht natürlich auch ohne Motor: "Diese Disziplin nennt sich Bike-Bergsteigen: Mit dem Rad auf der Schulter ganz rauf - und dann möglichst steil runter", erklärt Moser. Das große Freiheitsgefühl kann Moser, selbst Bikerin, gut nachvollziehen. Doch sie sieht auch die Probleme. Das offensichtlichste: "So, wie dabei gefahren wird, leiden die Wege - erst recht, wenn man kein Profi ist. Derzeit machen das nur rund zwei Prozent der Mountainbiker - aber da kommt einiges auf uns zu." (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Rondo, 17.5.2013)