Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet an Tremor. Eine vielversprechende neue Methode aus Kanada könnte Abhilfe schaffen.

Foto: fatih

Toronto - In einer Machbarkeitsstudie für ein gänzlich neues Verfahren ist es erstmals gelungen, eine der häufigsten Bewegungsstörungen – den essenziellen Tremor – im Gehirn durch die äußerliche Anwendung von Ultraschallwellen erfolgreich zu behandeln. Bei dem Verfahren konzentrierten kanadische Neurochirurgen Ultraschall aus 1024 Schallgebern mithilfe der Magnetresonanztomographie auf einen nur zwei Millimeter großen Bereich im Zwischenhirn.

Einer von 100 betroffen

Knapp jeder Hundertste in der Gesamtbevölkerung und nahezu jeder Zwanzigste über 65 leidet unter essenziellem Tremor, einer Bewegungsstörung, bei der meist die Hände und oft auch der Kopf sowie die Stimme zittern. Gegenstände zu halten oder danach zu greifen fällt den Betroffenen schwer und bis zu einem Viertel muss wegen der Krankheit den Beruf wechseln oder in Invalidenpension gehen. 

Zur Behandlung dieser Bewegungsstörung können Neurologen zwar auf eine Vielzahl von Medikamenten zurückgreifen, sie helfen aber nicht allen Patienten und sind oft mit Nebenwirkungen verbunden. Bei schweren Fällen kann eine Operation sinnvoll sein, bei der Elektroden in einem Nervenkern des Thalamus implantiert werden, dem Nucleus ventrointermedius internus (Vim). Etwa 70 Prozent der Patienten erzielen laut Deuschl dadurch eine deutliche Besserung, jedoch sind diese Eingriffe wie jede Operation mit dem Risiko von Blutungen und Infektionen verbunden.

"Sofortige Verbesserung"

Die nun präsentierte Methode der Universität Toronto erfordert keine Öffnung des Schädels. Die Patienten lagen bei der Prozedur wach in einem Magnetresonanztomographen (MRT), der das Zielgebiet des Vim darstellte. Gleichzeitig war ihr Kopf mit einer stereotaktischen Apparatur verbunden, die von 1024 Positionen aus Ultraschallwellen durch den Schädel auf den Zielpunkt sendete, sodass sich im Schnittpunkt dieser Wellen das Gewebe erhitzte und inaktiviert wurde.

Die Temperatur dort wurde ebenfalls mithilfe des MRT kontrolliert und von anfänglich 44 Grad auf bis zu 63 Grad gesteigert, während die Patienten wiederholt hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkungen getestet wurden. Unmittelbar nacheinander erhielten die Patienten zwischen 12 und 29 Beschallungszyklen, bis das Zittern in dem betroffenen Arm fast vollständig verschwunden war. "Die Patienten zeigten eine sofortige und anhaltende Verbesserung beim Zittern der dominanten Hand", berichtet Untersuchungsleiter Andres Lozano.

Verbesserte Motorik

Nach einem Monat hatte sich das Zittern im behandelten Arm um durchschnittlich 89,4 Prozent verringert, nach drei Monaten immer noch um 81 Prozent. Grob- und Feinmotorik verbesserten sich ebenfalls: Bereits verlorene Fähigkeiten, wie den Namen zu schreiben oder ohne Strohhalm aus einer Tasse zu trinken, kehrten nach der Behandlung wieder zurück.

Allerdings ist auch die neue Prozedur der MRT-geleiteten Ultraschall-Thalamotomie nicht frei von Nebenwirkungen: Ein Patient hatte Missempfindungen in Daumen und Zeigefinger, die auch nach drei Monaten nicht verschwanden, ein weiterer erlitt während der etwa sechsstündigen Prozedur eine tiefe Venenthrombose, die drei Monate lang mit Arzneien behandelt werden musste.

"Nach nur vier Patienten sind Nebenwirkungen wie lokale Blutungen oder sich postoperativ ausdehnende Läsionen noch nicht einschätzbar", erklärt Tremor-Experte Günther Deuschl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Auch hätte die Methode den Nachteil, dass eine Inaktivierung des Gewebes nicht reversibel ist und man noch nicht weiß, wie zielgenau das Verfahren tatsächlich ist. Laut dem Experten wäre das neue Verfahren aber auf jeden Fall vielversprechend. "Ähnliche Erfolge werden bislang nur mit der Tiefen Hirnstimulation oder der invasiven Thermokoagulation erzielt", so Deuschl. (red, derStandard.at, 16.5.2013)