STANDARD: Paris drängt auf rasche Wahlen in Mali. Was würden sie zu diesem Zeitpunkt bewirken?

Zoubir: Derzeit würden sie mehr destabilisierend wirken als alles andere. Es gibt keine Bemühungen um eine nationale Versöhnung, um die Wurzeln des Problems zu beseitigen. Das Problem sind nicht nur die Islamisten. Es gibt ethnische Gruppen (Tuareg und andere im Norden, Anm. ), die marginalisiert sind. Solange man sich nicht um deren - soziale, wirtschaftliche, kulturelle - Probleme kümmert, ist nichts gelöst.

STANDARD: Das heißt, die Wahlen würden die Kluft zwischen dem Norden und Süden noch vertiefen?

Zoubir: Absolut. Und selbst für die Franzosen könnte es Probleme geben. Der Terrorismus ist nicht beseitigt. Der Drogenhandel ist noch da. Es kann erst Fortschritte geben, wenn es eine nationale Versöhnung gibt, so etwas wie eine nationale Konferenz, mit allen beteiligten Gruppen und mit der Unterstützung der Staatengemeinschaft, um sicherzustellen, dass niemand marginalisiert wird - außer den Drogendealern und (den Islamistengruppen) Al-Kaida im islamischen Maghreb und Mujao. Man muss der Bevölkerung das Vertrauen zurückgeben, dass man sie wichtig nimmt.

STANDARD: Sind die Wahlen Teil einer französischen Exit-Strategie?

Zoubir: Ja und nein. Ich glaube nicht, dass die Franzosen wirklich überzeugt davon sind, dass es eine faire Wahl geben wird. Als die malischen Truppen mit Frankreich in den Norden vorgestoßen sind, haben sie Racheakte an der Bevölkerung begangen und damit noch mehr Verbitterung geschaffen. Zudem fühlen sich die Tuareg einmal mehr als Opfer von Unterdrückung. So wird alles nur schlimmer. Und sollten sich viele junge Leute dazu entschließen, die Regierung zu bekämpfen, wäre das ein Bürgerkrieg. Anders als die Islamisten kann man die Tuareg nicht bombardieren, die sind Malier.

STANDARD: Die Bewegung MNLA hat sich zum Dialog bereiterklärt. Sehen Sie eine Bereitschaft bei den Verantwortlichen in Bamako?

Zoubir: Nein, weil sie sich als Sieger fühlen. Doch Frankreich wird abziehen, und der Terrorismus wird nicht enden. Dann wären auch in Bamako Terrorakte zu befürchten, die darauf abzielen, die Regierung zu destabilisieren. (Julia Raabe, DER STANDARD, 17.5.2013)