Hans Jörg Ulreich: "Wenn man brav ist - und das heißt in Wien: wenn man sich nicht kritisch äußert -, kriegt man Wohnbauförderung." Links im Bild ist das Modell seines im Vorjahr fertiggestellten Sanierungs- und Dachgeschoßausbau-Projekts in der Fendigasse 20 vis-à-vis seines Büros in der Oberen Amtshausgasse.

Foto: Putschögl

Seit drei Jahren ist Hans Jörg Ulreich Bauträgersprecher in der Wiener Wirtschaftskammer. Im Interview mit Martin Putschögl erklärt er, wie die Geschäfte aktuell laufen, wie man weitaus günstiger bauen könnte und was die Politik dafür seiner Ansicht nach tun müsste.

derStandard.at: Herr Ulreich, wie geht es den gewerblichen Bauträgern in Wien?

Hans Jörg Ulreich: Die, die rechtzeitig Grundstücke und Häuser eingekauft haben, denen geht es gut.

derStandard.at: Und den anderen?

Ulreich: Die müssen jetzt Grundstücke zu Preisen einkaufen, wo sich freifinanzierter Wohnbau noch nicht rechnet. Das wissen sie natürlich, aber sie haben auch die Hoffnung, dass das Marktniveau weiter steigt und es sich dann wieder ausgeht.

derStandard.at: Wird der freifinanzierte Wohnbau also Ihrer Ansicht nach in nächster Zeit wieder zurückgehen? Mittlerweile hat er nach Fertigstellungen den geförderten Wohnbau deutlich überflügelt.

Ulreich: Nein, das glaube ich nicht. Das Geschäft läuft derzeit wie die Hölle, in jeder Lage, zu fast jedem Preis. Es gibt keinen, der jammert. Und ich glaube nicht, dass sich das so schnell ändert.

Die Privaten bauen immer dann, wenn es sich rechnet. Ein Beispiel aus meiner unmittelbaren Büro-Nachbarschaft (im 5. Bezirk, Anm.): Da lag ein Grundstück jahrelang brach, weil sich die Bebauung bei Grundstückskosten von 800 Euro pro Quadratmeter und Baukosten von 2.000 Euro je Quadratmeter bei einem Verkaufspreis von 2.500 Euro nicht auszahlte. Dadurch, dass jetzt die Preise für neue Eigentumswohnungen in dieser Gegend auf 4.000 Euro je Quadratmeter gestiegen sind, geht sich das aber aus, und deshalb wird jetzt gebaut. Da macht es nun Sinn, zu bauen. Wenn man aber in manchen Lagen einen Verkaufspreis von 3.800 Euro braucht, und der Markt derzeit nur 3.500 Euro hergibt, muss man noch zuwarten.

derStandard.at: Freifinanzierte Mietwohnungen sind bei diesen Kosten ohnehin kein Thema mehr?

Ulreich: Im freifinanzierten Neubau darf man zwar zu marktüblichen Preisen vermieten, für viele Bauträger sind Mietwohnungen aber trotzdem kein Thema, man setzt vielmehr auf Eigennutzer und Anleger, die Eigentumswohnungen als Vorsorgewohnungen erwerben wollen. Denen ist derzeit auch die Rendite egal, es geht vorrangig immer noch darum, das Geld in Sicherheit zu bringen. Es strömt nach wie vor sehr viel Kapital in den Immobilienbereich, was natürlich auch die Preise treibt, vor allem die der Zinshäuser und Grundstücke.

derStandard.at: Wie sieht es aktuell mit den Sanierungen aus? Sie beklagten zuletzt fehlende Förderungen.

Ulreich: In der Sanierung steht das Geschäft komplett. Früher wurden von der Stadt Wien bis zu 300 Häuser im Jahr gefördert, jetzt ist nur noch Geld für 30 da. Wir haben zwar auf dem Papier immer noch super Förderungen – aber in Wirklichkeit kriegt sie keiner. Der wichtigste Punkt, wo man ansetzen müsste, ist aber das Mietrecht. Das würde auch überhaupt nichts kosten. Wenn man für eine renovierte Wohnung in einem thermisch sanierten Haus Marktmieten verlangen dürfte, würde saniert "auf Teufel komm raus". Das Geld dafür wäre auch vorhanden, nur fließt es derzeit woanders hin – eben nur in den Ankauf und nicht in die Sanierung der Zinshäuser. Das ist auch der Grund dafür, dass dieser Markt so floriert.

derStandard.at: Marktmiete hieße: Mehr als zehn Euro?

Ulreich: Neun bis zehn Euro netto. Da würden sich auch Mietwohnungs-Projekte für Bauträger rechnen. Mit der erlaubten Richtwertmiete geht es sich aber nicht aus, dafür kriegt man von den Banken auch gar keine Finanzierungen. Viele Hausbesitzer sanieren deshalb gar nicht, oder nur einzelne Wohnungen, aber sie investieren nicht in die thermische Qualität der Häuser und damit nicht in die Umwelt. Dabei wäre jedes Zinshaus auf Niedrigenergiestandard sanierbar.

derStandard.at: Punkto Nachverdichtung per Dachgeschoßausbauten haben Sie jüngst kritisiert, dass der veraltete Flächenwidmungsplan ein großes Problem ist.

Ulreich: So ist es. Die veralteten Flächenwidmungspläne gehen immer noch von einer schrumpfenden Stadt aus, obwohl keine Stadt im deutschen Sprachraum so rasch wächst wie Wien. In einem Merkblatt der Baupolizei heißt es sogar explizit, dass Abweichungen vom Flächenwidmungsplan, die "nur" mehr Nutzfläche bringen, nicht erlaubt sind. Das zu ändern, würde ebenfalls nichts kosten. Die Politik fürchtet sich aber davor. An den Beamten im Planungsressort liegt das nicht – dort sind derzeit so fähige Leute wie noch nie am Werk. Die Grünen haben das nicht nach Parteibuch besetzt, sondern wirklich gute Leute hineingesetzt. Aber oft werden Umwidmungen auch von Anrainern verhindert, oder von den Schulbehörden blockiert, weil das Geld für den Schulneubau fehlt. Wien braucht ein klares politisches Bekenntnis zur innerstädtischen Nachverdichtung, am besten zu einer ökologisch nachhaltigen. Aber die Grünen haben nicht einmal was gesagt, als Ludwig (Anm.: Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, SPÖ) die Ökoförderung ersatzlos gestrichen hat. Und mit ihren -zig Anrainerbefragungen zur Absicherung von Projekten werden sie wenig vorankommen. Keiner will Baulärm oder Schutt vor der Tür für zwei Jahre, egal was danach rausschaut.

derStandard.at: Die Wiener Grünen haben kürzlich den Vorschlag gemacht, dass die Stadt ihre Grundstücke nur noch im Baurecht vergeben soll. Eine gute Idee?

Ulreich: Für den geförderten Wohnbau halte ich das für eine sehr gute Idee. Derzeit müssen die Bauträger kaufen und kriegen dann eine Wohnbauförderung zurück. Besser wäre es meiner Ansicht nach, das Grundstück günstig im Baurecht zu vergeben, dafür aber keine Wohnbauförderung mehr. Das wäre viel unbürokratischer.

derStandard.at: Es dürfte in gewisser Weise eher umgekehrt kommen: Die Stadt will die Widmungskategorie "geförderter Wohnbau" einführen.

Ulreich: Das halte ich prinzipiell auch für gut, allerdings sollten dann auch die gewerblichen Bauträger in allen Bundesländern gleichberechtigten Zugang zur Wohnbauförderung bekommen.

derStandard.at: In Wien haben die Gewerblichen den doch aber grundsätzlich ohnehin?

Ulreich: Theoretisch. Wenn man brav ist - und das heißt in Wien: wenn man sich nicht kritisch äußert -, kriegt man Wohnbauförderung (lacht). Man bräuchte sie aber, wie gesagt, gar nicht mehr; mit Grundstücken im Baurecht und ohne die mittlerweile völlig überzogenen Bestimmungen für Stellplätze, Notkamine, Barrierefreiheit oder Brandschutz könnten wir ohne Qualitätsverlust wesentlich günstiger bauen. Und die Stadt würde sich die gesamte teure Administration der Wohnbauförderung sparen.

derStandard.at: Dazu wird es wohl nicht kommen, es wird derzeit über die Wiedereinführung der Zweckwidmung diskutiert. Bezüglich der Baurechte hält die Stadt Wien außerdem dagegen, dass sich ihr Wohnfonds, der Grundstücke für den sozialen Wohnbau ankauft, vor allem aus den Verkaufserlösen speist.

Ulreich: Wenn die Gelder aus der Wohnbauförderung frei werden, dann hat der Wohnfonds genug Geld für den Grundstücksankauf.

derStandard.at: Karl Wurm, Obmann des Verbands der gemeinnützigen Bauvereinigungen, wies außerdem darauf hin, dass sich nicht alle Grundstücke der Stadt für den sozialen Wohnbau eignen, manche wären wegen ihrer geringen Größe besser zum Verkauf an private Bauträger geeignet. Sehen Sie das nicht auch so?

Ulreich: Ja, da hat er vollkommen Recht. Vieles, was Karl Wurm sagt, stimmt – etwa, dass wir heute im geförderten Wohnbau viel zu teuer bauen, mit Swimmingpools und Allgemeinräumen, die kein Mensch braucht. Eine Anlage mit 10.000 Quadratmetern, das sind also rund 130 Wohnungen, kann man um 1.400 Euro pro Quadratmeter auf der "grünen Wiese" bauen. Aber ein innerstädtischer Neubau mit 2.000 Quadratmetern kostet an Nettobaukosten mindestens 2.000 Euro, da geht sich das Limit für die Wohnbauförderung von 1.600 Euro niemals aus. Die Fixkosten sind gleich, man hat einen Polier und einen Kran bei beiden Projekten. Im dicht bebauten innerstädtischen Gebiet kostet schon allein die Unterfangung der Nachbarhäuser mindestens 150.000 Euro. Noch teurer wird es, wenn man etwa eine zweite Tiefgaragen-Ebene wegen der Stellplatzverpflichtung braucht. Und gerade die kostet überproportional viel - und dabei weiß man genau, dass sie später sehr wahrscheinlich komplett leer stehen wird.

derStandard.at: Bezüglich der "überbordenden Auflagen" ziehen Sie also mit den Gemeinnützigen an einem Strang. Wer ist schuld an den teuren Normen?

Ulreich: Die größten Baukostentreiber sind die Stellplätze oder die Notkamine, und die stehen gar nicht in den Normen, sondern in der Wiener Bauordnung. Ludwig kann das ändern. Bei den Önormen können nur gescheite Dinge herauskommen, wenn gescheite Leute in die Ausschüsse hineingehen. Bei uns hat sich das nur leider sehr lange niemand "angetan" – wir sind gar nicht hingegangen. So hat oft die "dritte Garnitur" die Normen verhandelt.

derStandard.at: Das ist also auch ein Versäumnis der Bauträger?

Ulreich: Auch, ja.

derStandard.at: Und das haben Sie jetzt erkannt?

Ulreich: Ich hab's für mich erkannt, aber ich kann ja nicht in allen Normenausschüssen in Österreich sitzen.

derStandard.at: Aber Sie sind Bauträgersprecher und können das intern weiterkommunizieren.

Ulreich: Ja, in die wichtigen Ausschüsse gehe ich mittlerweile selbst, und die Wirtschaftskammer hat das auch erkannt, dass sie Leute hineinschicken sollte, die sich auch was sagen trauen. Sonst machen nur die Beamten die Normen, für die wir allerdings haften. In den OIB-Normungsausschüssen sitzen aber ex lege nur Landesbeamte drinnen, die sich nur für die Sicherheit und nicht für die Kosten einsetzen; ein schwerer Fehler. Da braucht es zum Ausgleich Vertreter der Bauherren.  Das Erdbebenthema haben wir nun lösen können. Das Gleiche wollen wir jetzt auch mit dem Brandschutz machen.

Ein anderes Problem ist, dass die Diskussionen viel zu wenig vernetzt ablaufen. Jeder sieht nur seinen Schrebergarten. Derzeit wird Politik so gemacht, dass die Minister und Stadträte mit ihren PR-Leuten zusammensitzen und keiner mehr die Experten fragt. Aber es müsste so sein: Zuerst die Experten, dann die Einigung auf Polit-Ebene, und dann die PR. Wir brauchen eine Sozialpartnerschaft für das Wohnen! (derStandard.at, 21.5.2013)