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"Inside Llewyn Davis", der neue Film der Coen-Brüder: Oscar Isaac ist darin ein Musiker mit recht geringer Popularität, aber mit erheblichen privaten Problemen.
Bei der Zusammenstellung des Wettbewerbs agiere man zu konservativ, allzu oft würden dieselben arrivierten Regisseure wieder gegeneinander antreten: ein Vorwurf, den die ambitionierte Filmkritik zuletzt wiederholt an das Filmfestival von Cannes gerichtet hat. Obwohl mehr Experimentiergeist keineswegs schaden würde, zeigt sich heuer allerdings, dass man manch großen Namen nicht vorschnell abschreiben sollte. Mit Inside Llewyn Davis, dem Film der Coen-Brüder, hat das Palais des Festivals endlich eine Woge der Begeisterung erfasst.
Nach O Brother Where Art Thou? (2000) ist dies die zweite Arbeit der US-Filmemacher, in der sie ihrer Passion nach Folkmusic nachgehen. Behandelt wird die Ära des Folk-Revivals der frühen 1960er im Greenwich Village von New York, einer Zeit für Connaisseure des Genres - noch bevor Bob Dylan (im Film am Schluss zu sehen) daraus eine massenkompatible Kunstform machte.
Doch Inside Llewyn Davis ist kein typisches Musiker-Zeitgeschichte-Stück, sondern das für die Coen-Brüder charakteristische, bittersüße Porträt eines Schmock und Verlierers mit großem Talent. Der Film begleitet ihn (und einen rotgetigerten Kater) durch einen kalten New Yorker Winter, in dem er ein paar seiner privaten Fehltritte zu verringern und seine kaum vorhandene Popularität ein wenig zu vergrößern versucht.
So ausgereift und überzeugend wie hier wirkten die Coens schon länger nicht; die Balance aus lakonischem Humor und schwermütigem Tiefgang ist makellos, der Rhythmus fließend. Oscar Isaac verkörpert den Titelhelden, der in seinen von Tod und Tragik erzählenden Songs (Hang Me) sein erbärmliches Boheme-Dasein kurzzeitig hinter sich lässt; Justin Timberlake und Carey Mulligan spielen zwei seiner Musikerfreunde, alle singen auch selbst - wobei jedes Lied des von T Bone Burnett und Marcus Mumford besorgten Scores in voller Länge dargeboten wird. Visuell reflektiert der vom Franzosen Bruno Delbonnel fotografierte, atmosphärisch ausgestattete Film den inneren Seelenzustand Davis' treffend: New York ist ein in kargen Farben festgefrorenes Winterland, in dem man leicht ausrutschen kann.
Interviews mit Rabbiner
Im Wettbewerb hätte auch Claude Lanzmanns Le dernier des injustes laufen sollen, wäre es nach Direktor Thierry Fremaux gegangen. Doch Lanzmann lehnte dies aus guten Gründen ab. Der große französische Dokumentarist setzt darin seine Shoah-Forschungen mit einem der "Nebenflüsse" fort, den er seit Jahren in seinem Archiv gehortet hat: Interviews, die er 1975 mit dem sogenannten "Judenältesten" von Theresienstadt, dem Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein, geführt hat und die er nun zur Geschichte dieses "Modell-Ghettos", ein Euphemismus für Konzentrationslager, erweitert hat.
Murmelstein gilt ob seiner Rolle als Mittler zwischen den Nationalsozialisten und den internierten Juden bis heute als umstrittene Person - der Historiker Gershom Sholem und Hannah Arendt waren sich etwa darüber einig, dass er den Tod verdient hätte. Lanzmann begegnet ihm in seinem aufschlussreichen, packenden Dokument - eine österreichische Koproduktion - unvoreingenommener; er interessiert sich für die " Abenteuerlust" dieses Mannes, der seine Funktion dem möglichen Exil vorgezogen hat.
Er will die Motive dieser Kollaboration verstehen, über die Murmelstein sagt: "Man musste als Marionette selbst die Fäden ziehen." Schon diese Formulierung zeigt, dass Lanzmann mit dem "Letzten der Ungerechten" einen hochintelligenten, sprachmächtigen Interviewpartner gefunden hat, in dessen Erinnerungen Geschichte als Wirklichkeit lebendig wird, mit all ihrer Ambivalenz - nicht als fertiges Urteil, sondern als Verhandlungsmaterial. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 21.5.2013)