Emese Hunyady im Mai 2013 im Ilona Stüberl in der Wiener Innenstadt.

Foto: Zelsacher

Wien - Es gibt immer was zu tun. Beispielsweise in Linz, wo Emese Hunyady (47) vergangene Woche zu den prominenten Gästen gehörte, die sich in den Dienst des ungarischen Fremdenverkehrsverbands stellten, um den Linzern Csardas, Gulyas und Paprika näherzubringen. ",Auf nach Ungarn' heißt die Aktion", erzählt Hunyady, und sie erzählt es in Wien. Nicht irgendwo, sondern im Ilona Stüberl in der Innenstadt, einem kleinen ungarischen Lokal, das seine Existenz der ungarischen Revolution 1956 verdankt, ein Jahr später von einem ungarischen Ehepaar gegründet wurde, um den vielen Flüchtlingen zu helfen. Im Ilona Stüberl kennt Hunyady, die 1985 nach Österreich gezogen ist, naturgemäß alle. Abgesehen davon ist die Speisekarte mittlerweile zehnsprachig, damit sich, beispielsweise, auch Chinesen zurechtfinden zwischen Bohnensuppe, Palatschinken und Unikum.

Hunyady ist gerade aus Budapest gekommen. Auf Einladung des Nationalen Olympischen Komitees besuchte sie die Judo-EM. "Da hab ich Peter Seisenbacher wieder getroffen. Zwei österreichische Olympiasieger in Budapest. Ist doch schön." Hunyady liebt es, den Österreichern von Ungarn vorzuschwärmen und den Ungarn von Österreich. "Es ist ja beides meine Heimat. Ich will mich nicht auf ein Land reduzieren."

Ötscher in Budapest

Eine Zeitlang gab sie ein Testimonial für den Ötscher. "Wenn ich zu Pressekonferenzen eingeladen habe, sind viele Journalisten gekommen. Mein Name ist ja sehr bekannt in Ungarn." Was daher rührt, dass Emese Hunyady immer noch die einzige Ungarin ist, die eine Goldmedaille bei Olympischen Winterspielen gewonnen hat; einem Ungarn ist das auch noch nicht gelungen. Und Hunyady gelang es als Österreicherin, die sie Ende 1985 wurde. Ein halbes Jahr vorher hatte sie Thomas Nemeth geheiratet, einen österreichischen Eisschnellläufer ungarischer Abstammung, einen guten Freund, den sie von diversen Wettkämpfen kannte.

Es war eine Scheinehe. Eingefädelt hat sie ihr damaliger Trainer. "Wir waren jung. Da macht man Sachen, die man später wahrscheinlich nicht machen würde. Meinen Eltern hab ich das zuerst gar nicht erzählt." Jedenfalls durfte Hunyady, die zuvor in Budapest maturierte, offiziell in Österreich leben, und sie brach bei den Meisterschaften fortan nicht mehr die ungarischen, sondern die österreichischen Rekorde. Der Kontakt zu Herrn Nemeth ist nicht abgerissen, bald wird sein 50er gefeiert, und sie wird dabei sein.

Die richtige Sportart

Hunyady hatte als Eiskunstläuferin begonnen. Als sie elf war, legte ihr ein Trainer in Budapest nahe, es doch mit Hürdenlauf oder Eisschnelllauf zu versuchen. Sie wollte am Eis bleiben. Es war ein guter Tipp. "Ich habe wirklich die richtige Sportart erwischt." Hunyady nahm an sechs Olympischen Spielen teil, 1984 als ungarische, danach als österreichische Staatsbürgerin. 1992 in Albertville gewann sie Bronze über 3000 Meter, 1994 in Lillehammer Gold über 1500 Meter und Silber über 3000 Meter. Dazu kamen WM- und EM-Titel sowie Weltcupsiege.

Seit 1986 wurde sie von der österreichischen Sporthilfe unterstützt, wofür sie heute noch dankbar ist. Und bis 1990, als sie schon erste Weltcuprennen gewonnen hat, arbeitete sie täglich vier Stunden in einer Bank, worauf sie heute noch stolz ist. 1994 wurde sie zu Österreichs Sportlerin des Jahres gewählt. Sie hat es genossen, viele Hände zu schütteln, öffentliche Auftritte zu geben. "Ich war gerne dabei, aber jetzt brauche ich es nicht mehr. Für Pro Juventute, die Klinik Clowns oder Menschen für Menschen bin ich aber immer zu haben."

Das Bild, auf dem sie auf der Eisbahn in Lillehammer Walzer tanzte, wurde bekannt im Land. "Ich hab immer getanzt, bei jedem Wettkampf, die Kameras waren halt nur bei Olympia dabei. Es wundert mich, dass mich nie wer angerufen hat von den Dancing Stars." Sie erzählt von Wettkämpfen in Holland, wo der Eisschnelllauf so populär ist wie in Österreich der Skilauf, von Plakaten, auf denen "Emese, tanz für uns" stand. Und von Briefen, die sie von holländischen Eltern bekam, die ihre Töchter ihr zu Ehren Emese nannten. "Es gibt viele Emeses in Holland. Auf Facebook hab ich einige wiedergefunden."

Hunyady lebte zunächst in Wien, dann in Baden. Mit 37 Jahren hörte sie mit dem Wettkampfsport auf. Seit 20 Jahren ist sie mit Timo Järvinen verheiratet, einem ehemaligen finnischen Eisschnellläufer und Trainer, der vorübergehend auch in Österreich amtierte. Die beiden haben einen Sohn. Jasper ist acht Jahre alt. Und seit zwei Jahren lebt die Familie in der Schweiz, in einem Dorf in der Nähe von Zürich.

Weiter Hoffnung

"Wegen des Eislaufens bin ich nach Österreich gekommen, wegen des Eislaufens sind wir wieder weg", sagt Hunyady, die auf die handelnden Personen im österreichischen Verband gar nicht gut zu sprechen ist. Nicht wenige Geschichten, die man über Emese Hunyady liest, handeln vom Jammern. "Das stimmt so nicht", entgegnet sie, als die Rede im Ilona Stüberl auf dieses Thema kommt. "Ich raunze nicht. Ich bin glücklich, ich bin lustig. Aber ich vermisse den Sport, ich könnte ihm viel zurückgeben. Ich will keine Macht, keine Position, ich will meine Erfahrung weitergeben. Unsere Zeit war eine tolle Zeit. Schade, dass es niemand ausgenützt hat. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf."

Vor zwei Jahren schaffte sie nach vierjährigem Studium in Budapest den Bachelor im Recreation Management. Doch in die Schweiz zog es sie ihres Bruders wegen, der dort eine Zahnarzt-Praxis eröffnete. Bei ihm arbeitet Hunyady als Assistentin, ihr Mann fand eine Stelle als Physiotherapeut. Die Schweiz, sagt sie, werde auf Dauer eher nicht die dritte Heimat werden. "Hier bin ich Ausländerin, hier kennt mich niemand, hier bin ich inkognito. Das Leben ist schön, es gibt keinen Stress. Aber ich muss unterwegs sein. Ich hab Paprika in mir." (Benno Zelsacher, DER STANDARD, 21.5.2013)