François Hollande traf am Mittwoch als Letzter der 27 EU-Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel ein. Aber er war der Erste, der klar sagte, was die vorbereiteten Erklärungen zum gemeinsamen Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen real bedeuten: "Wir lassen Luxemburg und Österreich sechs Monate Zeit, um über einen automatischen Informationsaustausch zu entscheiden", erklärte der französische Staatspräsident.
Im Klartext: Der von der EU-Kommission fertig ausgearbeitete Entwurf zur Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie von 2003 (die den wechselseitigen Austausch von Bankdaten über Zinsgewinne regelt) auf andere Kapitalgewinne wie Dividenden, Lebensversicherungen oder Tantiemen wird auf die lange Bank geschoben. Angesicht der nötigen Einstimmigkeit für einen Beschluss "rufe" man zur Annahme des Regelwerks "noch vor Jahresende" auf, heißt es in einer Erklärung der EU-Spitzen etwas gespreizt.
Faymann: Kein Raum für Steuerbetrüger
Aufgerufen dürfen sich dabei Luxemburg und Österreich fühlen, die aufgrund einer Ausnahmebestimmung anstatt des in 25 Staaten geltenden automatischen Informationsaustausches (AIA) nach wie vor ein alternatives Quellensteuermodell in Geltung haben. Die luxemburgische Regierung hatte zwar im April angekündigt, ab 1. Jänner 2015 zum AIA überzugehen. Und nach einigem Hin und Her hatte auch Österreich in Person von Maria Fekter beim EU-Finanzministerrat vergangene Woche zugestimmt, das Bankgeheimnis für Steuerausländer aufzugeben und - unter gewissen Bedingungen - zum Datenaustausch überzugehen.
Bundeskanzler Werner Faymann ging Mittwoch in Brüssel noch einen Schritt weiter und erklärte, Österreich stelle sich im Kampf gegen Steuerflucht an die Spitze: "Ich gehe davon aus, dass wir bis Jahresende den Datenaustausch schaffen." Steuerbetrügern dürfe kein Raum gegeben werden, betonte der Kanzler.
Luxemburg stellt Bedingungen
Wer nun aber glaubte, damit sei der Weg definitiv frei für weitere konkrete gesetzliche Schritte der EU in Sachen Steuerflucht oder gar einen "Riesenfortschritt", wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel es formulierte, hatte die Rechnung ohne Jean-Claude Juncker gemacht. Der luxemburgische Premierminister weigerte sich, den Termin von Ende 2013 als finalen Termin anzuerkennen, knüpfte das an Bedingungen.
Es müsse vor einer Beschlussfassung in der EU sichergestellt sein, dass auch die fünf Drittländer, mit denen über einen Datenaustausch verhandelt wird, "gleichwertigen Maßnahmen" zustimmen. Das gelte insbesondere für die Schweiz, sagte Juncker. Zwischen Luxemburg und der Schweiz als Kapitalmärkte müssten "faire Wettbewerbsbedingungen" bestehen.
Die Gespräche der Kommission mit den Drittländern sollen umgehend beginnen. Ob diese Länder - neben der Schweiz auch Liechtenstein, Andorra, San Marino und Monaco - in der Lage sind, in nur sechs Monaten ein so komplexes Dossier fertig zu verhandeln und ihr Bankgeheimnis aufzuweichen, ist aber mehr als unsicher.
Geldwäscherichtlinie vertagt
Juncker betonte jedenfalls, dass er die Sache aus heutiger Sicht als " nicht reif" erachte. Sein Land stehe zum Beschluss, den automatischen Informationsaustausch ab 2015 einzuführen, aber das müsse "im Lichte der Ergebnisse" bis Jahresende erst noch bestätigt werden. Unklar ist auch, wie lange die Schweiz braucht, um ein Verhandlungsergebnis gesetzlich umzusetzen - inklusive einer (wahrscheinlichen) Volksbefragung. Auch die EU steht unter Zeitdruck: Da im Mai 2014 Europawahlen stattfinden, müsste die Richtlinie bis April Ministerrat und Parlament passieren. Danach entsteht eine längere "Gesetzespause": EU-Parlament und Kommission werden neu konstituiert.
Verschoben wurde auch die Entscheidung zur Geldwäscherichtlinie. Beim zweiten Thema - Energie - wurden Maßnahmen angeregt, die zu billigerer Energie in führen. Eine künftige Förderung auch von Atomenergie ist im Gipfeldokument nicht ausgeschlossen. Darüber wird Ende 2013 entschieden. Faymann betonte, dass er dazu seine Bedenken angemeldet habe. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 23.5.2013)