Eines Tages, erzählt der Tätowierer, kamen „150 Lastwagen, alles hat gewackelt und gescheppert – und dann war er da.“

Foto-Copyright: Thomas Rottenberg
...wir gelacht haben. Es war Schwertberg. Wieder einmal. Weil A.s Schwager dort ein Haus hat. Und weil ein Jahr nach dem Hochwasser immer noch eine Menge Schäden zu reparieren sind, packen wir alle paar Wochen ein bisserl Werkzeug ein, fahren nach Oberösterreich und wundern uns dann, dass manche Menschen scheinbar gleicher sind: In den Betrieben, in denen der Bundeskanzler nach dem Hochwasser auf – nein, natürlich nicht Wahlkampf-, sondern – Hilfsbesuch war, schaut es recht proper aus. Dort, wo der Bundeskanzler nicht ganz so gute Freunde hat, also in der Gemeinde mit absoluter SP-Mehrheit, wird auch gearbeitet – aber das auch hier vollmundig versprochene Geld kommt halt nicht.

Und dort, wo eh keiner hinschaut, weil keine lokale Lobby dahinter steckt, ist mitunter noch genau nix passiert. Bei A.s Schwager zum Beispiel: Dafür, die weggespülte Straße zu seinem Grund wieder zu errichten, fühlt sich keiner zuständig. Und den einzigen alternativen und befahrbaren Weg zum Haus – durch den Wald – hat ein netter Nachbar mit einem großen Holzstoß blockiert: Die blöden Wiener sollen gefälligst nicht über jenes Eckerl seines Grundes fahren, das seit ewig Teil des Weges in den Wald war. Macht nix. Zementsäcke und Trinkwasser durch den Wald tragen ist ja eh lustig. Urlustig.

Demut

Freilich: Die Sache hat auch ihre guten Seiten. Wann sonst kommt der Städter schließlich zum Arbeiten in die Natur? Außerdem lernt man Demut. Demut vor der Herrschaft und den – scheinbar gottgebenen – Machtverhältnissen. Und dazu braucht man nicht einmal ein „Zugereister“ zu sein – es genügt, neben den wirklich Wichtigen zu wohnen. So wie Gusi etwa.

Gusi ist Schwertbergs lokaler Tätowierer. Sein Haus liegt ein bisserl außerhalb des Zentrums. Nebenan – getrennt durch eine große Wiese – liegt der größte Arbeitgeber der Region. 1300 Arbeitsplätze. Gusi schafft nur einen. Seinen. Und weil der Betrieb neben Gusi nach dem Hochwasser (kolportierte) 90 Millionen Euro („Ich höre diese Zahl auch immer wieder, kann aber nicht herausbekommen, ob sie stimmt“, erklärt Schwertbergs Bürgermeister Kurt Gaßner) bekommen haben soll, tut man dort einiges, um sich gegen neue Fluten zu schützen: Zum Fluss hin ist das Werk hinter einer mehrere Meter hohen Stahlwand verschwunden. Das schaut ein bisserl aus, als wäre man in Nordirland. Oder an der Anti-Intifada-Mauer im Westjordanland. Oder vor einem belagerten Fort.

150 LKW

Gusi kann das aber nicht sehen. Weil sein Haus vor dem zweiten Verteidigungswall liegt. Unmittelbar davor. Eines Tages, erzählt der Tätowierer, kamen „150 Lastwagen, alles hat gewackelt und gescheppert – und dann war er da.“ Der Wall. Wenn Gusi heute aus den Erdgeschoßfenstern seines Hauses sieht, kann er gerade nicht über die Dammkrone drüberschauen: Zwei Meter vor seinem Haus ragt der Wall bis zur Oberkante der Fenster. Oben können LKWs fahren. Und dahinter liegt weit, breit und schön die Wiese, auf die Gusi und seine Familie früher blicken konnten. Bevor der Wall kam.

Als wir am Wall vorbeifuhren, haben wir zuerst geglaubt, hier macht einer einen Witz. „Land-Art“ oder so etwas ähnliches. Dann haben wir vom Damm hinunter in das zur Überflutung vorgesehene Gebiet geschaut: In Gusis Wohnung. Wir haben gelacht - und uns geschämt. Aber 1300 Arbeitsplätze sind halt schon ein Argument. Das weiß auch der Tätowierer – und bedankt sich deshalb auch brav. Auf einem Transparent, das aus dem Fenster im ersten Stock hängt und ein paar Schildern auf dem Damm.

Schlechte Menschen, meint der Tätowierer, wären wir nicht, wenn wir über seinen Gartenwall lachen. Schließlich grinse er ja selbst, wenn er darüber spricht. Nur A., die immer Überkritische, behauptet, dass dieses Lächeln nicht von Herzen käme.

Nachlese

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