Ionit: Werden damit nicht nur Wände, sondern auch Konsumenten angeschmiert?

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Natürliche Luftionen entstammen der kosmischen Strahlung.

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Den weitaus größten Teil unseres Lebens halten wir uns in geschlossenen Räumen auf. Zeit, die wir zu Hause, am Arbeitsplatz, in Aus- und Weiterbildungsstätten, Gasthäusern, im Kino, Theater oder wo auch immer verbringen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die herrschenden raumklimatischen Verhältnisse auf unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit und letztendlich auf unsere Gesundheit auswirken. So werden in der Arbeitsstättenverordnung die Belüftung beziehungsweise das Raumklima am Arbeitsplatz geregelt und Normwerte für Lufttemperatur, -feuchtigkeit und -geschwindigkeit definiert.

Selbst eine – eigenen Angaben zufolge – unabhängige Plattform für gesunde Raumluft sorgt sich um die österreichische Bevölkerung und liefert in einer kostenlosen Raumluft-Fibel Tipps und Tricks gegen zu viel Kohlendioxid und für ausreichend Sauerstoff. Als Sponsoren fungieren unter anderen das Allergie-Zentrum West, die Universität für Bodenkultur, das Österreichische Institut für Bauen und Ökologie, der Ziegelproduzent Wienerberger, der Baustoffkonzern Baumit und die Ionit Healthcare GmbH, der Hersteller einer spezielle Wandcreme, die eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen verspricht.

Werbung mit namhaften Forschungseinrichtungen

Durch die im Spezialwandanstrich Ionit enthaltenen Mineralien sollen eine hohe Luftionenkonzentration hervorrufen und so das Herz-Kreislauf-System, das vegetative Nervensystem sowie das Immunsystem positiv beeinflussen. Laut dem Hersteller ließe sich durch die Anreicherung der Innenraumluft mit negativ geladenen Luftionen außerdem die Staub- und Pollenbelastung reduzieren, was sich wiederum vorteilhaft im Kampf gegen Allergien und Asthma auswirke.

Um auch die letzten Zweifel auszuräumen, dienen als Argumentationsgrundlage für die heilsamen Versprechen Studien von vertrauenserweckenden Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer‐Institut für Bauphysik in Holzkirchen, dem Universitätsklinikum Freiburg und dem Institut für Umwelthygiene der Med-Uni Wien.

Ein genauerer Blick auf die Forschungsergebnisse wirft allerdings mehr Fragen auf, als beantwortet werden. Keine der angeführten Studien befasst sich etwa mit den Langzeitwirkungen der Ionenkonzentration auf den menschlichen Organismus. Auch was die behauptete anti-allergische Wirkung betrifft, bleiben die Untersuchungen den wissenschaftlichen Nachweis schuldig.

Luft-Ionisierungsgeräte helfen nicht gegen Asthma

Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2012, die die Ergebnisse von sechs randomisiert-kontrollierten Studien zur Auswirkung von sogenannten Luft-Ionisierungsgeräten bei Asthmapatienten zusammenfasst, kommt hingegen zu dem Schluss, dass die Anreicherung der Raumluft mit Ionen zu keiner Besserung der Asthmasymptome beziehungsweise der Lungenfunktion im Vergleich zur "Placebobehandlung" führt.

Auch die Studie vom Institut für Umwelthygiene der Med-Uni Wien, die von der Baumit Beteiligungen GmbH in Auftrag gegeben wurde, zu deren eingetragenen Marken auch Ionit zählt, zeigte keine nachweisbare Wirkung der Wandcreme im Sinne einer verbesserten Lungenfunktion und Herzschlagfrequenz. – Tatsachen, die der Hersteller zumindest auf der Unternehmenshomepage unter den Tisch fallen lässt. Die dort präsentierten Ergebnisse erwecken vielmehr den Eindruck, als handle es sich bei der Wandcreme um ein wahres Wundermittel zur Steigerung der Lebensqualität.

Ergebnisse nicht nachvollziehbar

Die kognitive Leistungsfähigkeit, die lediglich an 20 gesunden Probanden (10 Frauen und 10 Männer im Alter von 20 bis 55 Jahren) gemessen wurde, war im Raum mit Ionit-Anstrich nur in drei von neun Aufgabengruppen signifikant besser.

Dazu wurden die Studienteilnehmer zwei Stunden lang in zwei identisch eingerichteten Räumen immer zur selben Tageszeit am selben Wochentag in einwöchigem Abstand und in zufällig zugeordneter Reihenfolge getestet. Die eine Hälfte der Personen hielt sich zuerst im Raum A, die andere Hälfte zuerst im Raum B auf. In einem Zimmer wurde vier Wochen vor den ersten Tests ein Anstrich mit handelsüblicher Wandfarbe, im anderen Ionit aufgetragen.

Für Ulrich Berger von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf: "Was ist mit den Ergebnissen bei den anderen sechs Aufgabengruppen, und haben hier die 'Ionit-Probanden' vielleicht sogar schlechter abgeschnitten?" Darüber kann nur spekuliert werden, da die Vollversionen sämtlicher durchgeführter Studien nicht publiziert wurden. "Für mich ist das alles sehr dubios, denn auf Basis der vorhandenen Informationen kann keine Aussage über die Qualität der Ergebnisse gemacht werden", so Berger.

Ionisierung braucht Energie

Ionen sind elektrisch geladene Atome oder Moleküle, die bei Elektronenüberschuss eine negative Ladung aufweisen. "Natürliche Luftionen, die wir in der Erdatmosphäre feststellen können, stammen einerseits aus der galaktischen, kosmischen Strahlung und entstehen andererseits auch durch radioaktive Zerfälle", wie Armin Hansel vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Uni Innsbruck erklärt.

Ionisierung benötigt Energie. Dieser physikalischer Vorgang kann auch durch das Verfahren der fotokatalytischen Oxidation künstlich in Gang gesetzt werden, wobei hier UV-Strahlung als Energiequelle dient. "Es gibt Wandanstriche, die nach diesem Prinzip funktionieren, allerdings muss hier beispielsweise das Sonnenlicht die Wand direkt bestrahlen", erklärt Ulrich Berger. Bei Ionit sorgen – laut Hersteller – allerdings die in der Creme enthaltenen Mineralien für die Freisetzung von Luftionen, 365 Tage im Jahr und ohne zusätzlichen Energieaufwand. "Das klingt nach der Erfindung des Perpetuum mobile", wie der Experte von der GWUP anmerkt.

Ähnliche Bedenken äußert auch Armin Hansel: "Auf welchen physikalischen Prozessen soll dieser Wandanstrich basieren, dass da plötzlich Ionen herauskommen? Es gibt zwar Flächen, die als Quelle für Ionen dienen können – im Prinzip aber nur dann, wenn sie radioaktiv sind."

Zumindest der Preis von Ionit gilt als gesichert: Mit rund 14 Euro pro Quadratmeter Wandanstrich ist dieser aber wahrlich nicht wundervoll. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 24.5.2013)