New York/Wien - Was macht ein Soziologieprofessor, der über die Mechanismen des Berühmtseins forscht lehrt und dabei selbst berühmt wird? Genau: Er macht sich auch selbst zum Thema seiner Forschung. Das hat zumindest Mathieu Deflem von der University of South Carolina (USC) getan, nachdem ihn eine Vorlesung über Popstar Lady Gaga selbst zum weltweiten Medienereignis gemacht hatte.
Im Herbst 2010 ließ Deflem, der sich sonst eher mit Fragestellungen im Zusammenhang mit Terrorismus und Politik beschäftigt, im Vorlesungsverzeichnis die Veranstaltung "Lady Gaga und die Soziologie des Ruhmes" ankündigen. Obwohl er längst nicht der erste war, der Popkultur und die Soziologie des Prominentseins zum akademischen Thema machte, rannten ihm Studenten wie Journalisten - gelinde gesagt - die Bude ein. Nun hat er selbst im wissenschaftlichen Fachjournal The American Sociologist einen Beitrag zu seinen Erfahrungen veröffentlicht. Er nennt den Text eine "soziologische Autobiographie", die das "Wechselspiel zwischen Soziologie und Gesellschaft" thematisieren soll. Titel: "Professor Goes Gaga: Teaching Lady Gaga and the Sociology of Fame."
Darin beschreibt er akribisch den Verlauf seiner steilen Promi-Karriere, angefangen von ersten Mails, die die Presseabteilung, ein internes USC-Blatt und eine Studentenzeitung über seine Lehrveranstaltung informierten, über das Abheben der Story, nachdem sie die Washington Post und die New York Times aufgegriffen haben bis hin zu globaler Berichterstattung von Sambia bis Vietnam, von BBC bis Elle, von Agenturfeatures bis Youtube-Einführungen über die Vorlesung auf Koreanisch. Es folgten Fernsehauftritte und japanischen Teenies, die ihn als "Gaga-Sensei" ansprachen und Autogramme wollten.
Zwischenzeitlich hatte ihm die Universitätsführung Interviews untersagt bis man offenbar auf die Idee kam, dass die Publicity der Institution guttun könnte. Aber auch Schmähschriften und Instrumentalisierung durch konservative Kräfte als Beispiele verfehlter Bildungspolitik gehörten zu den Reaktionen.
So viel mediale Aufmerksamkeit er bekam - sogar Lady Gaga selbst wurde in Interviews mehrmals zu der Vorlesung befragt -, so wenig Feedback bekam er aber von Kollegen. Bis auf ein paar despektierliche Blogeinträge war Stille. Dafür folgten andere Lady-Gaga-Lehrveranstaltungen an anderen Unis.
Seine eigenen Gefühle über seine Berühmtheit seien nicht eindeutig, so Deflem. Er habe Höhen und Tiefen erlebt. "Von einer so außergewöhnlichen Erfahrung kann nicht allzuviel gelernt werden", schreibt er an einer Stelle. Es sei jedenfalls augenfällig, wie eine Vorlesung über den Ruhm zu einer Manifestation ihres eigenes Themas wurde.
Aber zumindest könne der Fall als Gelegenheit dienen, die Analyse von Ruhm in der gegenwärtigen Gesellschaft zu thematisieren. "Als ein Aspekt, nicht nur eine Reflektion des Aufstiegs Lady Gagas, konnte sich die Vorlesung auf eine technologisch beschleunigte und kulturell getriebene Besessenheit mit Prominenz stützen, die unsere Gegenwart charakterisiert", schreibt Deflem.
In diesem Zeitalter wäre es vielleicht bemerkenswerter, wenn eine solche Veranstaltung unbemerkt geblieben wäre. Die Ära von Andy Warhols "15 minutes of fame" sei vorbei, so Deflem. Die heutige Welt von Ruhm und Prominenz unterscheide sich stark von jener von vor zehn Jahren, geschweige denn von der vor mehreren Dekaden. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 25.5.2013)