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Für eine All-in-One-Konsole hat die Xbox One viele "Wenns" und "Abers".

Foto: AP Photo/Ted S. Warren

Vor 13 Jahren versprach ein System das mediale Zentrum der Haushalte zu werden. Neben Videospielen der nächsten Generation unterstützte es Filme auf dem neuesten DVD-Format und auch alte Musik-CDs. Konsumenten bräuchten für ihr gesamtes Portfolio an elektronischer Unterhaltung nur noch ein Gerät zu kaufen. Sony wusste, wie es die PlayStation 2 (PS2) neben reinen Spielkonsolen wie dem Dreamcast oder dem Nintendo 64 als eierlegende Wollmilchsau an die Massen verkaufen musste. Die Konvergenz hat seit eh und je ihren Reiz, wie ein Schweizer Taschenmesser in den Augen eines 10-jährigen Buben.

Microsofts Vision vom allumfassenden Medienzentrum in Gestalt der Xbox One ist 13 Jahre nach der PS2 genauso so einleuchtend und zeitlos wie damals. Bedarf nach einem Schweizer Taschenmesser wird es immer geben. Und dennoch ist es den kreativen Erfindern aus dem Nachbarland bis heute nicht gelungen, die Spezialisten für Messer, Scheren, Sägen, Lupen oder gar Zahnstocher zu verdrängen. Genauso wenig, wie die PS2 die DVD-Player und CD-Spieler obsolet machte. Der Grund dafür ist ebenso einleuchtend und zeitlos: Ein Produkt, das verspricht alles zu können, wird zwangsläufig nicht alles am besten können.

Die Fußnoten einer Vision

Die Xbox One, das "All-in-one"-Unterhaltungssystem, wie Microsoft seine 2013 erscheinende Konsole anpreist, soll künftig der einzige Medienspieler in Ihrem Wohnzimmer sein. TV, Streaming-Filme, Internet, Apps, Skype und auch Spiele wird sie vereinen und mit Hilfe von Kinect per Gesten und Sprache für jedermann nutzbar sein. Es ist eine Vision, die zweifellos groß ist. Doch es ist auch eine Vision, die bei ihrer Erstvorstellung von dutzenden Fußnoten begleitet wurde. Bei aller finanziellen und technologischen Stärke des Redmonder IT-Riesen sind es diese Fußnoten und die Argumente der Spezialisten, die über den Erfolg oder Misserfolg jener Xbox entscheiden werden, wie sie sich Microsoft in der Post-PC-Ära immer erträumt hatte.

TV on your TV

Es fängt dabei an, dass die Xbox One trotz ihrer Multifunktionalität nicht das einzige Kasterl im Wohnzimmer sein kann. Ohne einem DVB-T-, Sat- oder Kabel-Receiver wird man weiterhin nicht fernsehen können. Die Xbox ist also lediglich eine Schnittstelle, die Funktionen eines TV-Empfängers in ein homogenes System integriert. So wie es GoogleTV bereits versuchte. Kunden, die einfach fernsehen wollen, müssen sich also die Frage stellen, ob sie 300 bis 500 Dollar (wie viel auch immer die Xbox One kosten wird) aufbringen wollen, um etwas smarter Sportübertragungen und Nachrichten konsumieren zu können.

Microsoft argumentiert unter anderem, dass Football-Fans mit der Xbox One nicht nur NFL-Übertragungen sehen, sondern in Echtzeit ihre Fantasy-Liga abgleichen können. Mit einem Sprachbefehl lässt sich ein eingehender Skype-Anruf entgegennehmen und wenn man eine Spielherausforderung erhält, kann man im Moment das entsprechende Game aufrufen. Per Kinect kann direkt über den Fernseher (video-)telefonieren und wenn ich Fotos von meinem Cloud-Speicher herzeigen möchte, kann ich dies auch direkt über die Xbox One machen. In Summe soll der Medienkonsum so einfach wie noch nie geschehen, ohne sich vom Großbildschirm abwenden zu müssen.

Es sind Vorgänge, die dank allgegenwärtigen Smartphones und einer Fernbedienung schon heute täglich durchgeführt werden. Skype auf der Xbox macht mein Handy nicht überflüssig und auch Fotos und meinen Fantasy-Football-Club habe ich dank Smartphone oder Tablet immer dabei. Will ich nach einem Film ein Konsolenspiel genießen, braucht es auch heute schon nicht mehr als einen Tastendruck auf der Fernbedienung.

Made for USA

Microsofts Fokus auf die TV-Integration birgt noch zwei weitere Haken. Einerseits gab der Konzern bereits bekannt, dass sämtliche Live-TV-Features zum Marktstart nur in den USA verfügbar sein werden. Die komplexe Rechtevergabe von TV-Inhalten sowie die enorme Vielfalt an TV-Anbietern außerhalb der vereinigten Staaten macht den weltweiten Einsatz der Xbox One als Fernseh-Schnittstelle zur enormen Herausforderung.

Zum anderen wirkt Microsofts Konzentration auf Fernsehen wie ein Wunsch aus vergangenen Tagen. TV ist zweifellos noch das Massenmedium schlechthin, doch verliert Fernsehen gerade bei konsolentypischen Zielgruppen immer mehr an Bedeutung. Wie ein Internet-Kommentator so treffend anmerkte, sehen 20- oder 30-Jährige heute nicht mehr TV-Programme über ihren Fernseher, sondern vor allem heruntergeladene Serien und Filme. Ein Trend, den nicht nur Microsoft sondern sämtliche Konsolenhersteller vor Jahren erkannten und deshalb schon mit der Xbox 360, PS3 und Wii On-Demand-Videoangebote wie Netflix oder Love-Film bewarben. Fernsehen bedeutet heute immer noch "Wetten, dass" oder "Champions League", aber eben immer öfter auch "Game.of.Thrones.S03.E01.mkv" und "www.youtube.com/documentaries" oder so ähnlich. Ein Umstand, der TV-Anbieter selbst dazu bewogen hat, ihre Inhalte vermehrt über On-Demand-Programme zu bündeln und maßgeschneidert für Konsolen-, Tablet- und Smart-TV-Nutzer anzubieten. Für HBO-Serien, NFL-Matches und Sky-Filme brauche ich keinen Kabel-TV-Anschluss mehr, die gibt es mittlerweile bereits auch ganz legal über das Netz oder Apps zu sehen.

Multimedia-Standard

Und ist einem die TV-Integration nicht so wichtig, spielt es heute praktisch keine Rolle mehr, für welche Multimedia-Box man sich entscheidet. Streaming- und On-Demand-Angebote - sofern sie lokal verfügbar sind - sind auf allen Spielkonsolen Standard - eine Wii U und eine PS4 werden sich dafür genauso gut nutzen lassen wie eine Xbox One. Und wer nicht spielen möchte, kann sich eine Boxee Box oder AppleTV um 100 Dollar besorgen, wenn man einen neueren Smart-TV zuhause stehen hat, kann man sogar auch darauf verzichten.

Spiele sind Trumpf

Es ist verständlich, dass Microsoft Wege sucht, um die Zielgruppe der Xbox zu vergrößern. Tatsächlich ist der Konzern davon überzeugt, mit der Xbox One ein Publikum von hunderten Millionen Menschen ansprechen zu können. Doch zu einem typischen Konsolenstartpreis von 300 bis 500 Dollar wird Microsoft zumindest in den ersten zwei Jahren niemanden ansprechen, als die hungrigsten aller Videospielfans. Bei aller Multifunktionalität werden Games der vorwiegende Grund sein, sich eine neue Spielkonsole zu kaufen. Alles andere sind Boni. Das war zu Beginn bei der PS2 so und auch bei der Blu-ray-spielenden PS3 nicht anders und wird anfangs auch bei der Xbox One so sein.

Damit wird es zunächst darauf ankommen, wie gut sich die Xbox One als Spielgerät schlägt.

Die Konkurrenz der Spezialisten

Und hier steht Microsofts Alleskönner vor dem vielleicht schwierigsten Problem. Wie kann ein System alles bieten und dennoch die Nummer Eins in der Einzeldisziplin sein? Die pessimistische Antwort lautet: Es ist nicht möglich. Die optimistische Antwort lautet: Es macht nichts.

Microsofts Entwickler selbst sagen, dass  die Xbox One nicht auf die bestmögliche Grafik abzielt. Ein ähnliches Produktionsbudget und eine ähnliche x86-Architektur wie Sony im Auge war es wohl klar, dass man nicht all diese Funktionen in einen Hut packen können wird und am Ende technisch dennoch leistungsfähiger sein kann, als eine Konsole, die von Grund auf auf Videospiele ausgelegt wurde. Allein der Grafikchip der PlayStation 4 ist zumindest auf dem Papier 1,5 Mal flotter als jener der Xbox One. Die drei Betriebssysteme der neuen Xbox beanspruchen satte 3 GB des 8 GB großen Arbeitsspeichers für sich, während die Firmware der PS4 mit nur einem von 8 GB auskommt und noch dazu auf einen deutlich schnelleren Speichertyp zurückgreift. Die PS4 verfügt damit nicht nur über einen schnelleren Grafikprozessor, sondern auch über mehr effektiv einsatzbaren und flotteren Speicher für Games.

Doch die technischen Details allein, sagen gewiss nichts über die Qualität einer Videospielplattform aus. Eine Tatsache, die Nintendo wiederholt unter Beweis stellte.

Abwarten auf die E3

Die Inhalte werden entscheidend sein für den Erfolg der Xbox One. Da wirkt es kontraproduktiv, die Konsole im Gegensatz zur Wii U und der PS4 als geschlossene Plattform zu betrieben, die es aufstrebenden Indie-Entwicklern nicht erlaubt, Spiele unabhängig von großen Herausgebern zu veröffentlichen und zusätzlich ein striktes Gebrauchtspieleverfahren einführt.

Immerhin, laut Microsoft sollen im ersten Jahr nicht weniger als 15 exklusive Games für die Konsole erscheinen, acht davon seien keine Fortsetzungen bestehender Marken. Eine beeindruckende Zahl, die darauf hindeutet, dass sich Microsoft über die Wichtigkeit von Spielen bewusst ist, wenngleich man sehr viel Geld in TV-Kooperation und exklusive Videoproduktionen wie eine "Halo"-Serie investiert.

Bis man sich ein Urteil über das Games-Aufgebot der Xbox One bildet, sollte in jedem Fall die E3-Pressekonferenz Anfang Juni abgewartet werden. Ein neues "Forza" und ein neues "Call of Duty" werden es nicht gewesen sein.

Ein Kommunikationproblem

Der Drang zur Konvergenz führt nicht zuletzt ein Kommunikationsproblem mit sich, was bisher vielleicht am deutlichsten bei der PlayStation 3 zu sehen war. Sony versuchte seine Konsole in den Anfangsjahren ebenfalls als All-in-One-System zu etablieren und stieß im Endeffekt auf viele verwirrte und verunsicherte Konsumenten. Wirkt ein Produkt nach außen hin zu komplex, kann die Multifunktionalität abstoßend sein. Die Konsumenten fragen im Geschäft dann nach einem Gerät, mit dem man einfach nur am besten spielen oder am besten fernsehen kann. Man möchte nicht für Funktionen zahlen, die man womöglich gar nicht braucht. Hier wird es stark auf die Message ankommen und wie gut Microsoft in der Lage ist, die Vielfältigkeit der Xbox One zu simplifizieren. Presseaussendungen mit sechs Fußnoten am Ende und unterschiedliche Verfügbarkeiten von Diensten in den verschiedensten Märkten könnten zum Stolperstein werden.

Verunsicherung

Gleiches gilt für die Art und Weise, wie Microsoft innerhalb der ersten Woche nach der Präsentation mit unbequemen Themen umgegangen ist. Anstatt auf Aspekte wie Online-Zwang, Gebrauchtspielgebühr und mangelnde Abwärtskompatibilität aufklärend einzugehen, wurden sie zunächst unter den Tisch gekehrt und schließlich stückweise bestätigt.

Gleichzeitig riefen die angekündigten und potentiellen Funktionen der neuen Kinect-Sensorsteuerung die Datenschützer auf die Barrikaden. Anstatt Privacy-Bedenken aus dem Weg zu räumen, verschleiert man die Problematik mit schwammigen Aussagen und provoziert so mediale Aufschreie, bevor das Produkt noch am Markt ist.

Viel Überzeugungsarbeit notwendig

So wird Microsoft im Endeffekt viel Überzeugungsarbeit für seine große Vision zu leisten haben. Man wird Hardcore-Gamern erklären müssen, weshalb sie die Xbox One kaufen sollen, obwohl die PS4 mehr Leistung verspricht. Man wird Gelegenheitsspieler - sofern diese heute noch eine Konsole brauchen - davon überzeugen müssen, nicht zu einer günstigeren Alternative wie der Wii U zu greifen. Und man wird TV- und Video-Junkies deutlich machen müssen, weshalb sie neben dem Kabel-Receiver statt zu einer 100-Dollar-Media-Box zu einer neuen teuren Xbox greifen sollen.

Wenn sie in allen Disziplinen brilliert, wird sich die Xbox One im Idealfall als eierlegende Wollmilchsau verkaufen. Bis dahin ist es aber noch ein steiler Weg. Die PlayStation 2 verdankte ihren bahnbrechenden Erfolg schlussendlich übrigens nicht den DVD-Filmen oder den Musik-CDs, sondern in erster Linie einem bis dahin unerreicht starken Videospielangebot. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 26.5.2013)