Zu viel Alkohol schädigt das Gehirn. Wie das passiert und welche Mechanismen diese Schädigung verursachen, darüber ist nur wenig bekannt.

Untersuchungen zeigen nun, dass wiederholter starker Alkoholkonsum zu einer erheblichen und dauerhaften Umstrukturierung der präfrontalen Großhirnrinde führt. Die aktuellen Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe Molekulare Psychopharmakologie des Instituts für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (ZI) ermöglichen neue Einblicke in die molekularen Grundlagen solcher Alkoholschadenseffekte. 

Häufig und hoch konzentriert

Genetische, neurobiologische und verhaltenspsychologische Einflussfaktoren spielen bei Suchtverhalten eine Rolle. Die Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf die Untersuchung der Langzeitfolgen von Alkohol auf das Gehirn, insbesondere auf solche Effekte, die die Funktion des präfrontalen Kortex (PFC) beeinflussen.

Alkohol schädigt speziell einen kleinen Teilbereich des PFC, das sogenannte infralimbische Areal. Bei Ratten kann der daraus resultierende Funktionsverlust repariert werden, wodurch diese wieder die volle Kontrolle über ihr Alkoholsuchverhalten erlangen.

Eine bestimmte Gruppe von Neuronen im PFC reagiert sehr empfindlich auf Alkohol, wenn dieser wiederholt in Konzentrationen von mehr als 2,5 Promille über mehrere Stunden verabreicht wird, wie bei Alkoholikern üblich. Diese Neuronen erleiden langfristige Folgeschäden, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass sie die Freisetzung des Botenstoffs Glutamat nicht mehr angemessen regulieren können. 

Niedrige mGluR2 Werte

Zurückzuführen ist das auf eine mangelnde Autorezeptorfunktion, die normalerweise durch Glutamatrezeptoren vom Typ mGluR2 ausgeübt wird. Das Forschungsteam um Wolfgang Sommer kann diesen Funktionsverlust direkt mit Suchtverhalten in Verbindung bringen.

Die Wiederherstellung des mGluR2-Niveaus im infralimbischen Kortex alkoholabhängiger Ratten ist ausreichend, um deren übermäßiges Bedürfnis nach Alkohol wieder zu normalisieren. Diese Ergebnisse scheinen auch für die Alkoholsucht bei Menschen von Bedeutung zu sein. In Autopsiematerial von Alkoholikern fanden die Forscher in der entsprechenden Hirnregion ebenfalls erniedrigte mGluR2 Werte.

Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass Alkoholabhängigkeit nicht nur zu einer Abnahme von mGluR2 Rezeptoren in neuronalen Netzwerken des PFC führt, sondern dass der dadurch verursachte Funktionsausfall bei Alkoholsüchtigen auch die Gefahr eines Rückfalls verstärkt.

Neue therapeutische Perspektiven

Die im Tiermodell aufgezeigte Möglichkeit einer Reparatur der mGluR2-Autorezeptorfunktion eröffnet neue therapeutische Perspektiven. Dazu ist es nötig, die molekularen Mechanismen zu erforschen, die zur Blockade des Rezeptors führen.

Ausgehend von der These, dass epigenetische Abschaltungsmechanismen in diesem Prozess eine Rolle spielen, sollen nun am ZI neue Methoden entwickelt werden, um die entsprechenden epigenetischen Abdrücke wieder zu entfernen.
(red, derStandard.at, 28.5.2013)