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Morgens, mittags, abends Pillen zu schlucken könnte überflüssig werden - eine Tagesration Papier würde es auch tun.

Foto: AP/Mark Lennihan

Eine Pille für den Bluthochdruck, eine weitere für den Cholesterinspiegel, eine Pille für die gute Laune, eine andere für die Nachtruhe. Es gibt kaum Beschwerden, gegen die es nichts zu schlucken gibt. Doch so mannigfaltig sich die Pillen nach Krankheiten ausdifferenzieren, so einheitlich ist ihre Dosierung. Auf individuelle Eigenschaften der Patienten wird kaum Rücksicht genommen. Meist unterscheiden sich Dosen und Wirkstoffzusammensetzung weder nach Alter, Größe oder Geschlecht. Unter- und Überdosierungen sind somit programmiert.

Das Forschungsprojekt "Mediprint" aus Graz soll diesem Problem Abhilfe schaffen. Ein Team des Research Center Pharmaceutical Engineering (RCPE) hat eine Methode entwickelt, Medikamente nach Bedarf auszudrucken. Der Chemiker Thomas Klein, Geschäftsführer des RCPE, erklärt die Grundidee des Projekts: "Wir bringen die Wirkstoffe in flüssigen Zustand und drucken sie auf essbarem Papier aus."

Der Druckprozess eignet sich dafür, "Klein- und Kleinstmengen" aufzutragen, denn die Substanzen können im Mikrogrammbereich verarbeitet werden. So können die Medikamente je nach Alter, Größe oder Geschlecht in Feinstabstimmungen von Millionsteln eines Gramms dosiert werden. Zusätzlich könnten die Medikamentstreifen personalisiert und Unverträglichkeiten sowie Wechselwirkungen berücksichtigt werden.

Zeitverzögerte Auflösung

Ein weiterer Vorteil: Ein Esspapierstreifen kann mit den Wirkstoffen eines ganzen Pillenbergs bedruckt werden. Zudem können die Forscher die jeweiligen Wirkstoffe mit Schutzschichten umhüllen und so eine zeitverzögerte Auflösung im Körper erzielen. "Die Pillenportionierer mit Abteilungen für den Morgen, den Mittag und den Abend würden sich so erübrigen", sagt Klein. Ein Esspapierstreifen, der in der Früh eingenommen wird, könnte mit der Tagesration an Pillen bedruckt werden und setzt am Morgen die ersten Wirkstoffe frei, zu Mittag die nächsten und am Abend den letzten Schub.

Den kleinen Patienten will Thomas Klein das medikamentöse Esspapier zusätzlich versüßen - im wörtlichen Sinne. "Für Kinder würden wir die Papierstreifen etwa mit einer Himbeergeschmacksschicht schützen." Statt der Pillen, die für Kinder oft schwer zu schlucken sind, könnten die für sie notwendigen Pharmastoffe auf Esspapier mit Himbeer- oder Bananennote aufgedruckt sein.

Flüssige Wirkstoffdrucker

Und wie kann man sich so ein Druckgerät für Medikamente vorstellen? "Wie einen normalen Tintenstrahldrucker", meint Klein. Einzig statt der drei Farbkartuschen hat das Gerät Platz für mindestens zehn pharmazeutische Wirkstoffe. Ein Prototyp wurde bereits im Vorläuferprojekt "Pills on Paper" des Research Studios entwickelt.

"Die größte Herausforderung dabei war es, die pharmazeutischen Wirkstoffe in flüssigen Zustand zu bringen und auch für längere Lagerzeiten nutzbar zu machen", sagt Klein. Bisher haben die Forscher rund 20 Wirkstoffe in flüssige Form bringen können. "Jetzt haben wir das Verfahren so weit im Griff, um so ziemlich jeden Wirkstoff zu verflüssigen", meint der Chemiker. Nun soll die Methode auf speziellen Anwendungsfeldern getestet und zum marktfähigen Produkt gemacht werden. Krebsbehandlung, Kindermedizin und Schmerztherapie sind drei medizinische Bereiche, in denen die Methode getestet werden soll.

"In drei bis fünf Jahren könnten wir so weit sein, dass solche Geräte in Krankenhäusern oder Altersheimen eingesetzt werden", sagt Klein. In zehn bis 15 Jahren könnte die Technologie dann so weit fortgeschritten sein, dass der Arzt die für einen Patienten notwendigen Wirkstoffe auf dessen E-Card abspeichert und eine Monatsration an Papierstreifen mit den entsprechenden Stoffen in der Apotheke ausgedruckt wird.

Doch bis dahin müssen noch Zulassungsverfahren bestanden werden, die im Pharmabereich besonders streng sind. Als Überwachungssystem haben die Forscher eine Kameraaufzeichnung eingerichtet, mit der jeder aufgedruckte Tropfen einzeln detektiert und der Wirkstoffgehalt evaluiert wird. So können die 10.000 bis 15.000 Tropfen, die pro Sekunde verarbeitet werden, permanent überwacht werden.

Schneller könnte das Produkt in einem anderen Gebiet auf den Markt kommen: der Nahrungsergänzung. Schon in einigen Monaten soll es markttaugliche Angebote geben, damit sich Patienten beim Arzt einem Vitamincheck unterziehen können und sich dann Esspapier mit Vitaminen nach persönlichem Bedarf ausdrucken lassen können.

Das Projekt, das sich als Vorreiter im Medikamentdruck sieht, ist international aufgestellt: Ein deutscher Druckerkonzern und ein amerikanischer Esspapierhersteller sind mit an Bord. Außerdem kooperiert das Research Center mit der Karl-Franzens-Universität und der Technischen Universität Graz. Das Projekt "Mediprint" soll im Rahmen des Programms "Eurostars" mit Mitteln des Wirtschaftsministeriums gefördert werden, das heuer einen Schwerpunkt auf Gesundheitstechnologien legt. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 29./30.5.2013)