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Phthalate werden massenhaft als "Weichmacher" in der Verpackungsindustrie eingesetzt.

Foto: epa/STR

Stuttgart - Weltweit nehmen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Schilddrüsenerkrankungen zu. Diese Entwicklung könne allerdings nicht allein auf den Lebensstil oder die Genetik zurückgeführt werden, meint Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).

Endokrine Disruptoren - chemische Substanzen wie sie in Verpackungen, Nahrungsmitteln oder Kosmetika enthalten sind - dürften ebenso zu den Ursachen zählen. "Sie beeinflussen das Gleichgewicht des Hormonsystems sowie den Stoffwechsel, die Fettspeicherung und die Entwicklung der Knochen beziehungsweise des Immunsystems“, so Schatz.

Forschungen haben gezeigt, dass Endokrine Disruptoren starke Auswirkungen haben können. Manche von ihnen wirken wie Hormone, andere blockieren einen Hormonrezeptor und verhindern so, dass körpereigene Hormone andocken und wirksam werden können. Ebenso kann die Produktion oder die Umwandlung körpereigener Hormone gestört werden, wudurch die Hormonspiegel im Blut dementsprechend steigen oder sinken. 

Zahlreiche Verdachtsmomente

"Auch bei der Entwicklung des kindlichen Nervensystems spielen sie vermutlich eine große Rolle", ergänzt der Hormonexperte. Demnach stehen die chemischen Substanzen im Verdacht, Genitalmissbildungen bei Jungen zu fördern, die Samenbildung zu stören, das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) bei Kindern zu begünstigen und bei endokrin-bezogenen Krebsformen von Prostata, Brust und Schilddrüse beteiligt zu sein.

Wissenschaftler aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens haben nun in einer Deklaration an die EU ihre Forderungen zum Umgang mit Endokrinen Disruptoren formuliert. In der "Berlaymont Declaration" bemängeln 89 internationale Forscher, dass für eine ganze Reihe solcher verdächtiger chemischer Substanzen keine Testmethoden zur Verfügung stünden. Außerdem würden bei den testbaren Substanzen die derzeit effektivsten Methoden nicht angewendet.

Nach Ansicht der Experten sei in den aktuellen Regularien die Einschätzung, dass niedrige Belastungsmengen mit diesen Stoffen ungefährlich seien, besonders besorgniserregend. "Eine große Zahl der Endokrinen Disruptoren beginnt schon bei kleiner Dosis zu wirken. Es bestehen keine Schwellenwerte, unter denen die Substanzen ungefährlich sind, sondern ihre schädigende Wirkung addiere sich über längere Zeiträume", erläutert Schatz.

Auf Plastikverpackungen verzichten

Die Formulierung der "Berlaymont Declaration" sei aus Sicht der DGE zwar ein Schritt in die richtige Richtung, der Fokus sollte zukünftig aber auf umfassende Forschungen liegen. Die Wissenschaftler betonen, dass schwerwiegende und irreversible Schäden durch Endokrine Disruptoren wahrscheinlich sind, auch wenn derzeit noch nicht genügend Daten vorliegen, um das Risiko genau zu beschreiben.

Die DGE rät zur Zurückhaltung im Umgang mit Materialien wie Bisphenol A, das etwa für die Innenbeschichtung von Konservendosen verwendet wird, oder Phthalate, die als "Weichmacher" in der Verpackungsindustrie breite Anwendung finden: "Abgesehen von den stetig wachsenden Plastik-Müllbergen, die unsere Umwelt belasten, sollte man versuchen so wenig wie möglich Verpacktes zu kaufen. Das heißt, so wenig Fertigkost wie möglich verzehren, auf in Plastik Verpacktes verzichten, statt Konserven besser frisches Gemüse vom Markt kaufen und keine Getränke aus Plastikflaschen oder Verbundpackungen konsumieren", lautet die Empfehlung von Helmut Schatz. (red, derStandard.at, 29.5.2013)