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Der neueste Schrei auf dem Markt sind Matrix-Schulen, die vor allem das männliche Zielpublikum anlocken sollen.

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Lichtarbeiter, Engelstherapeut, Matrixmeister, Meister der Bioenergetik oder vielleicht doch Lichtkosmetiker? Wer Heiler werden will, hat die Qual der Wahl. Die Auswahl ist groß, der Weg dorthin durch das Internet vereinfacht. Den großen, allmächtigen Guru, der seine Bewunderer um sich versammelt, die Haus und Hof für seine Aufmerksamkeit opfern, gibt es kaum noch. Mittlerweile bilden Heiler Heiler aus, die wiederum neue Heiler ausbilden. Es entsteht ein flächendeckendes Netzwerk. Verknüpft wird dieses über das "Hauptlabel", die zugrunde liegende Schule.

Ob sie sich nun Bewusstseinsschulen, Engelsschulen oder auch Matrixschulen nennen – sie alle bieten Seminare an, die auch in Form von Fernkursen gebucht werden können. Ein Abo kostet etwa 100 bis 150 Euro und inkludiert CDs und DVDs inklusive Anleitungen, in denen der Abonnent schrittweise zur Erleuchtung kommt. Meistert er alle Schritte, erhält er ein Diplom.

Um schließlich selber Heiler zu werden, müssen zusätzlich bestimmte Utensilien im Webshop des Ursprungslabels gekauft werden. Ein Ausbildungsset "Botschafter der Ursprungsfrequenzen" ist beispielsweise um 440 Euro zu erwerben. "Diese neue Heilerszene funktioniert ähnlich wie ein Franchising System: Man bildet selber Leute aus, die Ursprungslabels verdienen ihr Geld über den Verkauf von Energiesprays oder Engelsessenzen, die kleinen Gurus bekommen dafür die Aufmerksamkeit der neuen Auszubildenden", erklärt der Psychologe Johannes Fischler. Ruhm sticht bekanntlich Geld, daher ist die "narzisstische Aufwertung" über die Aufmerksamkeit der Gefolgschaft für die Betroffenen mehr wert als das Geld, das die Heilerschulen kassieren.

Gesundheits-Kult  

International entwickeln sich so wahre Netzwerke von Heilerzirkeln. Sie mögen aus verschiedenen Schulen kommen, doch verbindet sie gemeinsame Rituale und der Gebrauch der gleichen Produkte. Der neueste Schrei auf dem Markt sind dabei die Matrix-Schulen, die vor allem Männer anlocken sollen. "Matrix und Quantenheilung klingt für Männer besser als Engel", sagt Fischler.

Die Ausbildungsmöglichkeiten machen auch nicht Halt vor staatlichen Institutionen. In Oberösterreich bietet das WIFI etwa sowohl Informationsveranstaltungen als auch die Ausbildung zum "diplomierten Bioenergetiker" an – die Firma dahinter ist die "Kryonschule", die "Bewusstseinsschule der neuen Zeit": "Sie lernen die eigene Kraft zu nutzen, um zu sich selbst zu finden und zu erkennen, wer man ist. Das geschieht in 48 Schritten und 6 Aufstiegsschritten. Sie lernen Techniken, um alte Muster und Blockaden in spirituellen, mentalen, emotionalen und physischen Körpern aufzulösen und so in das Erwachen zu führen", steht im Kursverzeichnis. Die Leiterin dieser Seminare stammt nach eigenen Angaben von "Quadril 5", ihre kosmischen Eltern seien Adamis und Adamea. Kurios: Abgeschlossen wird der Kurs mit einem "OMSP" Zertifikat – der "Weltweiten Organisation der Volksgesundheit" (Organización Mundial de la Salud Publica). Und diese sitzt in Buenos Aires.

Wem diese Seminare nicht genug bieten, der kann auch Kurse auf Bali zum Erlernen der Lichtsprache oder Safaris zu Delfinen - die Meeressäuger gelten in der Szene als hohe Lichtwesen - buchen. "Es geht dabei um das rein Phantastische, die Menschen wollen frei sein vom grübelnden Geist", erklärt sich Fischler den Erfolg dieser Schulen. In einer Multioptionsgesellschaft sei vermehrt der Wunsch da, abzuschalten. Viele Möglichkeiten erfordern viele Entscheidungen - Kirche, Staat, Familie oder Nationalität böten, so Fischler, kaum noch Halt, daher entstünde ein neuer Kult: der Kult um sich selbst. Im Mittelpunkt: die eigene Gesundheit. "Wer sich um sich selbst kümmert, ist ein guter Mensch. Und das ist der Grund dafür, dass es so viele Heiler gibt", sagt der Psychologe. Heilung wird dabei im übertragenen Sinne als spirituelle Ganzwerdung verstanden. "Heutzutage geht man nicht mehr in die Kirche sondern in den Wellnesstempel, die Buße erfolgt beim Gewichtheben", sagt er.

Energetische Paranoia

Durch die vernetzen Heilerzirkeln entstehen Scheinwelten inmitten der realen Welt. Dabei erfolgt die Identifikation als Heiler nach dem gleichen Schema. Bei kleineren Schmerzen wie etwas Knieproblemen oder Kopfschmerzen mag die Heilung anfangs Früchte tragen. "Ein Ritual kann wunderbar wirken, um mit Autosuggestion Schmerzen zu lindern", erklärt Fischler. Heilung erfordere aber immer positive Energien - daher müssten negative über "Reinigungsschutzengel" vertrieben werden. Da beginnt dann, so Fischler, die "energetische Paranoia": verdrängte negative Energien werden bei anderen gespürt und müssen bekämpft werden. Abhilfe schaffen freilich nur die Originalprodukte aus dem Webshop.

Einmal im Bann der positiven Energien festgefangen, ist ein Ausstieg schwer. Betroffene, mit denen Fischler Kontakt hatte, sahen den Teufel persönlich über ihrem Bett, waren nach dem Ausstieg kraftlos, kämpften mit Suizidgedanken: Wer einmal regelmäßig bei Heiler-Seminaren war, fühlt sich nach dem Aussteigen oft selbst von negativen Energien verfolgt.

Ist der Leidensdruck zu hoch, landen manche beim Psychotherapeuten und erhalten eine "Entfluchung", also eine hypnotische Erfahrung in leichten Trancezuständen. Dabei wird der Betroffene mit einer imaginären Reise zum Ursprungsort des Fluches "zurückgeschickt" und so von ihm befreit.

Oft schaffen die Betroffenen allerdings den Weg zurück in das wirkliche Leben nicht mehr. "Aussteiger sind meistens nur Umsteiger, weil sie so massive Angst haben, dass sie meistens beim nächsten Heiler landen, der sie wieder reinigt", sagt Fischler. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 31.5.2013)