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In London verbindet der Thames Cable Car die Royal Docks mit der Greenwich Peninsula, wo die 02-Arena steht.

Foto: REUTERS/MURAD SEZER

London/Hongkong/Santo Domingo - Fast geräuschlos trudeln die Gondeln von Londons Thames Cable Car (Emirates Air Line) im Terminal ein. Touristen, Eltern mit Kinderwägen und Geschäftsleute steigen in die Kabinen ein. Dann schließen die Türen, und die Seilbahn setzt sich langsam in Bewegung. "Zu ihrer Sicherheit bitten wir Sie, während der gesamten Fahrt angeschnallt und sitzen zu bleiben", sagt eine Stimme.

Fast wie im Flugzeug

Es ist fast wie im Flugzeug. Man hat eine Sicht über ganz London. Die städtische Luftseilbahn, die in 90 Metern Höhe zwischen der Greenwich Peninsula und den Royal Docks verkehrt, besitzt eine Kapazität von 2500 Passagieren - das entspricht in etwa 30 Bussen. Natürlich herrscht auch in der Luft Linksverkehr. Die Fahrt über die Themse dauert gerade einmal fünf Minuten - das Angebot ist in London konkurrenzlos.

Schneller, sauberer, billiger

Schneller, sauberer, billiger: Die Seilbahn hat in Städten einen regelrechten Siegeszug hingelegt. Megacitys wie Los Angeles, New York und Hongkong setzen längst auf das Transportmittel. "Aus den wachsenden Anforderungen im alpinen Bereich heraus haben sich Seilbahnen von einem Spezialverkehrsmittel mit geringer Förderkapazität zu einem komfortablen Massenverkehrsmittel mit der nötigen Flexibilität für den urbanen Einsatz entwickelt", heißt es in einer Studie des Instituts für Raumplanung der Universität Trier.

Überbrückung des Staus

In den verstopften Innenstädten, wo in der Rushhour oft kein Durchkommen ist, lassen sich Staus durch Luftseilbahnen leicht überbrücken. Schätzungen zufolge fressen Kolonnen drei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts auf. Der Stillstand kostet Geld - und ist nicht gerade umweltfreundlich. Schon jetzt verursacht der Personenverkehr gut 20 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit. Entsprechend groß ist das Einsparpotenzial. 

Geringer CO2-Ausstoß

Laut einer Studie der Strategieberatung "ClimatePartner Austria" hat die Seilbahn bei einer Auslastung von mindestens 50 Prozent im Vergleich zu Bus, Bahn und Auto den geringsten CO2-Ausstoß. "Der Vorteil von Seilbahnen ist, dass die Investitionskosten und der Einfluss auf den urbanen Raum relativ gering ist", sagt Jean-Paul Rodrigues, Professor für globale Studien und Geografie an der Hostra University New York.

Seilbahnen benötigen nur wenig Fläche für die Stützen und Stationen. Das Unternehmen "Frog Design", das in Austin (Texas) eine CO2-neutrale "Cable Car" konzipiert hat, beziffert die Kosten für ein Seilbahnnetz auf drei bis zwölf Millionen US-Dollar pro Meile. Demgegenüber liegen die Kosten für eine Eisenbahnstrecke bei 35 Millionen Dollar, bei einer U- Bahn sogar bei 400 Millionen US-Dollar pro Meile.

Ngong Ping 360

Aufgrund seiner geringen Kosten ist das Verkehrsmittel auch für Schwellenländer interessant. In Hongkong ist seit 2006 die Luftseilbahn "Ngong Ping 360" in Betrieb. Sie verbindet den Stadtteil Tung Chung an der Nordküste mit der Lantau-Insel, die bis in die 1990er-Jahre nur per Schiff erreichbar war. In der Millionenmetropole Lagos in Nigeria wird 2014 die erste kommerzielle Seilbahnstrecke des Landes eröffnet.

Und in Medellín wurde 2010 das stadteigene "Metrocable" eröffnet. Die kolumbianische Metropole liegt inmitten des Aburra-Tals, an dessen Anhöhen die Armenviertel liegen. Die Bewohner dieser "comunas" konnten die öffentlichen Verkehrsmittel nicht erreichen - und waren vom Stadtleben quasi ausgeschlossen.

Die Einwohner des Barrios Santo Domingo mussten täglich bis zu zweieinhalb Stunden zur Arbeit pendeln. Ein Problem, das viele große Städte kennen. Wer nicht mobil ist, ist in der globalisierten Welt ausgegrenzt. "Der Mangel an Mobilität steigert die geografische Marginalisierung zu sozialer Exklusion", schreiben die Forscher Peter Brand von der School of Urban and Regional Planning der Universidad Nacional de Colombia und Julio Davila vom University College London (UCL).

"Den Stolz zurückgewonnen"

Die Slumbewohner haben keinen Zugang zu kulturellen, politischen und Bildungseinrichtungen. Mit der Einführung der Linie K in Medellín änderte sich das: Die Menschen waren besser in die Gemeinde integriert. "Die Bewohner haben dadurch den Stolz auf sich und ihre Nachbarschaft zurückgewonnen, der durch die Bandenkriege und Vernachlässigung des Staates verlorengegangen war", sagt Davila.

"Die Leute, die früher über die Armenviertel hinwegsahen, werden plötzlich ihrer Existenz gewahr, wenn sie mit Seilbahn darüber schweben. Das könnte helfen, einen politischen Konsens herbeizuführen, der die Siedlungen stärker in der Stadtplanung berücksichtigt und ihnen Ressourcen in Form von Sozialprogrammen zuteil werden lässt", so Davila.

Seilbahn als Risikotechnologie

Gleichwohl läuft der Betrieb nicht immer reibungslos. An der Linie K kam es immer wieder zu störungsbedingten Ausfällen. Die Wartungsarbeiten verzögerten den Transfer. Und in Hongkong stürzte beim Testbetrieb im Jahr 2007 gar eine Gondel ab. "Im Hinblick auf Instandhaltung und Sicherheit ist die Seilbahn eine Risikotechnologie", ist der Forscher Jean-Paul Rodrigue überzeugt. Hinzu kommt, dass die Kapazitäten der Seilbahnen begrenzt sind.

Maximum 5000 Passagiere

Experten schätzen das Maximum auf 5000 Passagiere pro Stunde. Realistisch seien 3000. Zum Vergleich: Das Bussystem in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá befördert stündlich 45.000 Menschen. Der Geograf Rodrigue hält Seilbahnen auch mehr für einen Zubringer als für ein Massentransportmittel. Auf schwierigem Terrain wie Tälern, Hügeln oder Flüssen könnten sie jedoch effizient eingesetzt werden.

Neue Seilbahn in Rio

In Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele 2016 wird auch Rio eine neue Seilbahn bauen. Die 3,5 Kilometer lange Strecke soll die Mobilität in der Stadt erhöhen und die Slums mit dem Stadtzentrum verbinden. 2011 wurde bereits eine Seilbahnstation in der Favela Alemão in Betrieb genommen. Wo man früher noch 50 Minuten zu Fuß brauchte, ist man nun in 16 Minuten im Tal - den Panoramablick auf den Zuckerhut gibt es inklusive. (Adrian Lobe, DER STANDARD, 1./2.6.2013)