Schulraum neu denken: Die Volksschule Bad Blumau wurde kürzlich mit dem Award "Bessere Lernwelten" ausgezeichnet.

Foto: VS Bad Blumau

Noch sind solche Schulen der Initiative von Architekten und Lehrern zu verdanken. Die Politik würdigt - und schaut zu.

Foto: VS Bad Blumau

Die Terrassentür ist weit geöffnet, die Kinder kauern zwischen Fensterbrett und Terrasse, bühnenreif flattert der Vorhang über die konzentrierten Köpfe hinweg. Lehrerinnentraum? Gebaute Realität! Eine glückliche, wiewohl seltene, wohlgemerkt.

Es gibt in Österreich rund 6300 Schulen. Die meisten davon sind Gangschulen mit standardisierten Klassen, die für den Frontalunterricht entwickelt wurden. Nur die wenigsten Schulgebäude entsprechen den aktuellen pädagogischen Konzepten, die von Wissenschaftern und Lehrern mit Ausdauer und Hartnäckigkeit proklamiert werden. So zum Beispiel die Volksschule Bad Blumau, die letzten Montag in der Kategorie Primarstufe mit dem Award "Bessere Lernwelten 2013" des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) ausgezeichnet wurde.

50 eingereichte Projekte

"Unser Bildungssystem steht vor großen Veränderungen", sagt Michael Zinner, Professor an der Kunstuniversität Linz und Forscher auf dem Gebiet Schulraumkultur. "Daher sind wir es den kommenden Generationen schuldig, den Schulraum und seinen Einfluss auf das Lehren und Lernen neu zu reflektieren." Zinner ist einer von insgesamt sechs Juroren, die den Wettbewerb begleitet und die drei Siegerprojekte und sieben Anerkennungen - in den Kategorien Primarstufe, Sekundarstufe und Baukulturvermittlung - aus mehr als 50 eingereichten Projekten ausgewählt haben.

Der Award, der nicht nur die Architektur beziehungsweise nicht nur das pädagogische Angebot an Schulen untersucht, sondern sich erstmals der Kombination aus Raumangebot und Unterrichtsmöglichkeiten verschreibt, soll diesen Veränderungsprozess an der Schnittstelle von Architektur und Pädagogik manifest machen. Es ist der erste Preis dieser Art im gesamten deutschsprachigen Raum. Das wurden die Veranstalter, allen voran Bundesministerin Claudia Schmied (SP), nicht müde zu betonen.

"Bewegte" statt Gangschule

Doch zurück nach Bad Blumau. Die kleine steirische Gemeinde, die vor allem für ihre Hundertwasser-Therme bekannt ist, legte in den letzten Jahren deutlich an Bevölkerung zu. Die alte Volksschule im Ortskern wurde dem großen Schülerandrang nicht mehr gerecht, und so beschloss man, neben dem Sportplatz am Fluss einen Neubau zu errichten. Die Wettbewerbsausschreibung war streng. Keine Gangschule, sondern eine "bewegte Schule" mit einem "kommunalen Zentrum" in der Mitte sollte es werden. Der Zuschlag ging an das Grazer Architekturbüro Feyferlik Fritzer. 2010 wurde die Schule nach vierjähriger Planungs- und Bauzeit eröffnet.

Was sieht man heute? Bewegte Schülerinnen und Schüler. Es wird gesessen, gelümmelt und gelaufen, durch die Mitte der Aula zieht sich eine 20 Meter lange Sitzstufe aus knallrotem Kunstleder, und vielleicht wird die Vielfalt der hier anzutreffenden Lernpositionen und Körperposen künftigen Architektinnen und Lehrern als Inspirationsquelle für baulichen Weitblick dienen.

Die Kids hocken in den Fensternischen, knien auf der Terrasse und liegen ausgestreckt am Parapet, während der Stift schnell noch über die Rechenaufgaben fegt. Das Platzangebot ist unermesslich und beweist, dass Lernen heute nicht mehr so aussehen muss, wie es sich Maria Theresia bei der Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1774 vorgestellt hatte. Diese Zeiten sind vorbei.

Bauen wie im Bilderbuch

Zwei weitere Lernwelten-Preise gingen daher an das Innsbrucker Bundesrealgymnasium in der Au, das auf dem Dach eines Shoppingcenters errichtet wurde und dessen Raumangebot in intensiver Zusammenarbeit mit Kinder- und Elternvertretern entwickelt wurde (Kategorie Sekundarstufe, DER STANDARD berichtete), sowie an das Kinderbuch "Archi & Turi", das Eltern, Lehrer und Kinder mit niederschwelligen Zeichnungen zur praktischen Arbeit mit Raum und Architektur anspornen soll (Kategorie Baukulturvermittlung, herausgegeben von Monika Abendstein und Judith Prossliner). Die beiden gekritzelten Protagonisten Archi und Turi zeigen vor, wie's geht.

"Es gibt eine ganze Reihe von Pilotprojekten, was neuen, innovativen Umgang mit Raum und Pädagogik betrifft", sagt Michael Zinner. "Die Frage ist: Was können wir von diesen Pilotprojekten mitnehmen, um die längst schon veralteten Schulbaurichtlinien zu überdenken?" Ende letzten Jahres bereits veranstaltete er in Zusammenarbeit mit der Kunstuniversität Linz ein "Symposium zu Lernwelten und Baukultur", bei dem nationale und internationale Beispiele präsentiert wurden.

Sensibilität für gebaute Umwelt

Es zeigte sich: In Helsinki etwa gibt es seit 1993 die Arkki, eine eigene Architekturschule, in der Kindern und Jugendlichen die Grundbausteine des Planens und Bauens vermittelt werden. "Die meisten Kinder in Finnland verbringen 70 bis 80 Prozent ihres Tages in der Schule", sagt Pihla Meskanen, Gründerin und Leiterin der Arkki. "Das ist viel Zeit. Daher ist es wichtig, ihnen schon möglichst früh eine Sensibilität für ihre gebaute Umwelt mitzugeben." Die Schule wird zu einem Drittel von der Regierung, zu einem Drittel von der Stadt und zu einem Drittel von Spenden und Beiträgen finanziert. Das Projekt ist weltweit einzigartig.

Die "vor ort ideenwerkstatt", eine Initiative aus Österreich, wiederum begibt sich in Schulen, um dort gemeinsam mit Schülerinnen und Lehrern neue Ideen und Konzepte für den bevorstehenden Schulumbau oder sogar Schulneubau zu erarbeiten. Auf diese Weise kommen nicht nur die Auftraggeber und Architekten zu Wort, sondern auch die Nutzer. Der Bildungscampus Moosburg in Kärnten ist das erste Projekt, das Resultat eines solchen Partizipationsprozesses ist. Das Projekt wurde mit dem Anerkennungspreis "Bessere Lernwelten" ausgezeichnet.

Mehr Lern-Nettonutzfläche

Der vielleicht radikalste, aber effektivste Vorschlag kommt aus Vorarlberg. Er wurde diese Woche ebenfalls mit einem Anerkennungspreis (Kategorie Sekundarstufe) gewürdigt. Thomas Koch, Direktor der Volks- und Mittelschule Alberschwende, orientierte sich an skandinavischen Best-Practice-Beispielen, warf alle Regelwerke über Bord und ließ den Architekten einen Großteil der bestehenden Wände rausreißen. Das Resultat ist eine offene Lernlandschaft ohne Lehrmittelräume und Gänge, dafür aber mit Platz für unterschiedliche Formen des Unterrichts.

"Durch den Umbau ist es uns gelungen, die Lern-Nettonutzfläche von 55 Prozent auf 90 Prozent zu steigern", sagt Koch. "Das wäre eine Möglichkeit, den Schulbau in Österreich unter wirtschaftlichen Bedingungen zu revolutionieren. Doch dazu bräuchte es den Mut der Politik." Koch fordert von den Gesetzgebern einen Drei-Punkte-Plan. Erstens: kein Schulbau mehr ohne räumlich-pädagogisches Konzept. Zweitens: keine Planung mehr ohne pädagogische Begleitung. Und drittens: keine Wettbewerbsjury mehr ohne Pädagogen.

"Dazu braucht es kein Gesetz"

Kochs Forderungen stoßen im Bundesministerium auf wenig Gegenliebe. Vor allem aber auf widersprüchliche Ansichten. Helmut Moser, Sektionschef Budget und Raum beim BMUKK, meint, er sehe keinen Handlungsbedarf, zumal sich jene Schulen, die so einen partizipativen Planungsprozess wollen, ohnehin selbst dazu aufraffen können. Ein verpflichtender Passus in den Schulbaurichtlinien sei jedenfalls nicht vorgesehen. "Außerdem sind mir als Sektionschef im Ministerium die Hände gebunden. Solange es dafür kein Gesetz gibt, kann ich nichts machen."

Unterrichtsministerin Schmied wiederum erklärt auf Anfrage des STANDARD: "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns diese drei Forderungen, die mir durchaus sinnvoll erscheinen, in der BIG (Bundesimmobiliengesellschaft, Anm.) zum Grundsatz machen. Aber dazu braucht es doch kein Gesetz. Wir haben genug gute Beispiele, die zeigen, dass innovativer Schulbau auch ohne Gesetz möglich ist."

Politik am Zug

Laut Baukulturreport gibt es in Österreich 120.000 Lehrkräfte und 1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler. Jahr für Jahr werden rund 200 bis 300 Schulbauten saniert, umgebaut und erweitert. Von den jährlichen Neubauten, die von Bund, Land und Gemeinde errichtet werden, gar nicht erst zu sprechen. Das Tätigkeitsfeld ist enorm.

Dass sich die Betroffenen aus eigenen Stücken organisieren können und in der Lage sind, den Schulbau zu revolutionieren und endlich Pädagogen in die Planung miteinzubeziehen, haben sie mit dem Award "Bessere Lernwelten" eindrücklich bewiesen. Doch es geht nicht nur um die wenigen herausragenden Beispiele. Es geht um die breite Masse. Jetzt ist die Politik am Zug. Möge sie das Geld, statt in einen weiteren Architekturpreis, in eine - längst überfällige - Schulbaureform investieren. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Album, 1./2.6.2013)