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Ankunft der Lions in Hong Kong, Zwischenstation auf dem Weg nach Australien.

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Augen wie ein Adler: Referee Angus Gardner wird eine Partie leiten.

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2009 in Südafrika war Warren Gatland als Spartentrainer für die Vorbereitung der Stürmer zuständig, nun trägt der Neuseeländer die Gesamtverantwortung im Lions-Lager.

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37 Kleiderschränke haben sich kürzlich um ihre Spinde herumgedrückt und zusammengepackt, was man für einen Monat eben so braucht. Dann hieß es "Goodbye" zu Weib und Kind, falls vorhanden – und ab ging es durch die Mitte. Auf die andere Seite der Welt. Ja, es ist wieder einmal soweit. Einer der eigenartigsten Organismen der Sportwelt hat sich wieder zusammengefunden, reckt und streckt sich: die British and Irish Lions.

Zyklisch ist ihre Existenz, fast wie jene der in den USA heimische Magicicada septendecim, einer Zikaden-Spezies die, von einem geheimnisvollen Urinstinkt getrieben, exakt alle 17 Jahre ihr unterirdisches Versteck verlässt, um einen neuen Lebenskreislauf zu beginnen. Bei den Lions dauert das nicht so lange. Zum Glück, denn mehr als vier Jahre Warten auf die Wiederkunft dieser Mannschaft – wer würde das ertragen? Denn wir sprechen hier schließlich über das Beste vom Besten: dem Allstar-Rugbyteam von den Britischen Inseln. Einem Mythos.

1888 fing alles an

Wandern ist eben nicht nur des Müllers, sondern besonders auch des Briten Lust. Seit 125 Jahren. Mindestens. Und so überquert diese Reisegesellschaft seit 1888 in schöner Regelmäßigkeit den Äquator um reihum Südafrika, Neuseeland oder Australien tourend zu durchqueren. Während Partien gegen Provinz-Auswahlen, die sogenannten Midweek Games, eher dazu dienen, jene Spieler bei Laune zu halten, die es nicht in die erste XV geschafft haben, gelten die drei Matches umfassenden Testserien gegen die Nationalteams des jeweiligen Gastgebers als Höhepunkte der Unternehmung.

Nach zwölf Jahren geht es diesmal wieder auf den fünften Kontinent, der erst seit 1989 einer eigenständigen Bereisung für wert erachtet wird. Bis dahin diente Australien bloß als Sprungbrett in das gelobte Rugby-Land Neuseeland. Zehn Spiele stehen zwischen 1. Juni und 6. Juli insgesamt auf dem Programm.

Eine Hand wäscht die andere

Von Anfang an waren die Touren mehr als ein sportlicher Vergleich, wollten doch die Engländer ihr Spiel in die Weiten des Empire hinaustragen. Nicht zuletzt in Australien ist dieser missionarische Aspekt bis heute relevant geblieben, hat doch Rugby Union dort hart zu kämpfen, um gegen das populärere Rugby League zu bestehen. Die beiden Codes unterschieden sich nicht nur hinsichtlich des Regelwerks, sondern wohl noch nachhaltiger aufgrund divergierender Moralvorstellungen. Während die proletarischen League-Anhänger von Anfang an nichts dabei fanden, für Geld zu spielen, konnte sich das Rugby Union erst 1995 zum Professionalismus durchringen. Nach wie vor gilt die Weisheit: "Willst du in Australien etwas werden, spiel League. Wenn du in der Welt etwas werden willst: spiel Union".

Es ist also kein Zufall, dass die Lions in Perth Station machen werden. Dort, in einer Hochburg des Australian Football, steht eine Partie gegen die Western Force auf dem Programm. Und im Cricket-affinen Melbourne misst man sich gegen die dortigen Rebels, eine erst vor wenigen Jahren gegründete Franchise. Last but not least sind die Tourneen ein wichtiger ökonomischer Faktor, haben doch die Lions einen riesigen Fantross im Schlepptau. Bis zu 30.000 Enthusiasten werden laut Schätzungen der Mannschaft nachreisen. Nicht nur die lokale Wirtschaft freut sich auf steigende Umsätze, die Einnahmen sind auch für den notorisch klammen australischen Rugby-Verband Goldes wert.

Tour-Kultur

Doch die Popularität der Lions kann auch zum Problem werden. 2001 waren die Stadien in einem derartigen Ausmaß von roten Lions-Trikots eingefärbt, dass sich die Funktionäre dazu genötigt sahen, gratis Fan-Utensilien im Wallabie-Senfgelb an das Publikum ausgeben zu lassen. Diese einzigartige Tour-Kultur wird gespeist von der eigentümlichen Neigung des Briten, jede sich bietende Gelegenheit zur auswärtigen Gruppenbildung wahrzunehmen. In Verbindung mit dem ebenso verbreiteten Vergnügen an lustiger Verkleidung (Beispiel), landet man unweigerlich beim typischerweise gschnasartigen Charakter solcher Zusammenkünfte. Sei es ein Polterabend in Bratislava, oder eben eine Rugbysause irgendwo auf der Welt.

Doch auch in den Gastländern erreichte der Enthusiasmus für die Besucher ungeahnte Ausmaße. Jeder dritte Neuseeländer soll 1959 die Lions spielen gesehen haben, was einerseits auf den kühnen und unternehmungslustigen Stil zurückzuführen war, den das Team damals pflegte. Andererseits aber vielleicht auch damit zu tun hatte, dass es als Verbindungslinie zur Welt wahrgenommen wurde, von der man sich – noch viel stärker als heute – abgeschnitten wähnte.

Eine Fundgrube für alle, die hören wollen

Dass die Anziehungskraft der Lions auch in der Moderne ungebrochen scheint, hat viel mit dem romantischen Flair zu tun, die dieses Team umweht. Spieler aus vier Nationen, noch dazu solchen, die einander im richtigen Leben in mannigfacher Animosität verbunden sind, finden sich zu einer gemeinsamen Sache zusammen. Weit weg von zu Hause, tief in feindseligem Territorium ging es nicht um Titel oder Pokale. Sondern in erster Linie darum, dem Team und dem Spiel selbst Ehre zu machen. Welch nobles Unterfangen!

Dazu kommt, akribisch dokumentiert und liebevoll gepflegt, das überreiche Reservoir historischer Überlieferungen. Besonders die früheren Jahre, als die mehr schlecht als recht organisierten Touren eher Abenteuerfahrten glichen, bieten dem geneigten Anekdoten-Sammler reiche Ernten. Etwa jene Sache aus dem Jahr 1966, in dem ein besonders ungemütlicher neuseeländischer Winter den Touristen schwer zusetzte. Da gefrorene Spielfelder ein Training unmöglich machte, wich man schließlich auf ein Flugfeld aus, wo die Bedingungen zumindest eine minimale Bewegungstherapie erlaubte. Allerdings nur beeinträchtigt durch den regelmäßig wiederkehrenden Warnruf angesichts eines zur Landung ansetzenden Flugzeugs. Woraufhin die Herren Sportler fluchtartig hinter einem Hangar Deckung nehmen mussten.

Von Bekehrten überflügelt

Was das Sportliche betrifft, so ist ohne Wenn und Aber zu konstatieren: die Schüler lernten verdammt schnell. Bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert hatten Südafrikaner und Neuseeländer ein Niveau erreicht, das die Verhältnisse umzukehren begann. So sollte es bis 1955 dauern, ehe den Lions wieder ein Erfolg gegen die Springboks vergönnt war. Das 23:22 in Johannesburg vor einer Rekordkulisse von 95.000 Zuschauern gilt bis heute als einer der bedeutendsten Matches aller Zeiten. Die Bilanz gegen die wuchtigen Herren in Dunkelgrün hat sich seither halbwegs passabel entwickelt, 17 Siegen stehen bei einer Gesamtzahl von 46 Tests 23 Niederlagen gegenüber. Gegen die neuseeländischen All Blacks, die ewige Nummer eins des Weltrugbys, sieht es allerdings zappenduster aus: 29 Niederlagen bei gerade sechs Erfolgen sprechen eine allzu deutliche Sprache.

Allein 1971, 1974, 1989 und 1997 konnten die Touristen in der Rugby-Neuzeit Testserien für sich entscheiden. Und das ist letztlich, was zählt. "Erst dann kannst du dich zu den wirklich großen Lions-Spielern zählen", weiß Brian O'Driscoll. Der irische Routinier unternimmt diesmal seinen vierten Anlauf dorthin, als einziger der aktuellen Gruppe war er schon bei der letzten Australien-Tour 2001 mit von der Partie.

Gatlands Herausforderungen

Die Chancen stehen nicht schlecht für das Team von Chefcoach Warren Gatland. Die Australier gelten als schlagbarster Südgigant, die Bilanz erscheint mit 15/5 geradezu rosig. Gatland, der etwas bärbeißig wirkende Neuseeländer, betreut seit 2007 das walisische Nationalteam (zweimal Six-Nation-Champions, WM-Vierter), letzten Herbst wurde ihm die Position bei den Lions angetragen. Ein Angebot, dass man nicht ablehnt. Die selbstverständliche Freistellung des ehemaligen Weltklasse-Spielers durch den walisischen Verband, zeigt, wieviel Prestige damit verbunden ist.

Eine der diffizilsten Herausforderungen für einen Lions-Trainer ist, wenig überraschend, die Kadernominierung. Er darf sich dabei nicht dazu hinreißen lassen, etwa zwischen nationalen Befindlichkeiten zu lavieren. Ein Kompromissteam gewinnt nichts. Ebenfalls gefährlich: das Vertrauen auf große Namen, deren beste Zeit möglicherweise bereits vorbei ist. Als Außenseiter, der sich einen distanzierteren Blick erlauben kann, hat Gatland ("Es gab robuste Debatten") diesbezüglich vielleicht einen Vorteil.

Laufende Sardinen

Allen recht machen kann es der Selektor aber ohnehin nie. Die lustvoll geführten Debatten, wer den unbedingt noch dabei sein müsste – und wer auf keinen Fall, gehören zu den vergnüglichsten Begleiterscheinungen einer Lions-Tour. 15 Waliser, zehn Iren, neun Engländer und drei Schotten – so sieht die Gemengelage diesmal aus.

Bis spätestens zum 22. Juni muss sie zu einer Einheit geliert sein, dann kommt es in Brisbane zum ersten Aufeinandertreffen mit den Australiern. Deren Chef Robbie Deans erwartet ein großes Spektakel. "Lebhaft" werde es zugehen, im Suncorp Stadium. Nun, so kann man es auch sagen. Und Deans weiter: "Der Einsatz ist höher. Schauen Sie sie sich an, wie sich die Spieler seit 2001 körperlich weiterentwickelt haben. Damals waren das laufende Sardinen, jetzt sind die Verteidiger gebaut wie damals die Stürmer." (Michael Robausch – derStandard.at 5.6. 2013)

Die Kader:

Lions

Backs: Leigh Halfpenny (Wales), Stuart Hogg (Schottland), Rob Kearney (Irland); Tommy Bowe (Irland), Alex Cuthbert (Wales), Sean Maitland (Schottland), George North (Wales); Jonathan Davies (Wales), Brian O'Driscoll (Irland), Jamie Roberts (Wales), Manu Tuilagi (England); Owen Farrell (England), Jonny Sexton (Irland); Conor Murray (Irland), Mike Phillips (Wales), Ben Youngs (England).

Forwards: Dan Cole (England), Cian Healey (Irland), Gethin Jenkins (Wales), Adam Jones (Wales), Matt Stevens (England), Mako Vunipola (England); Rory Best (Irland), Richard Hibbard (Wales), Tom Youngs (England); Ian Evans (Wales), Richie Gray (Schottland), Alun Wyn-Jones (Wales), Paul O'Connell (Irland), Geoff Parling (England); Tom Croft (England), Toby Faletau (Wales), Jamie Heaslip (Irland), Dan Lydiate (Wales), Sean O'Brien (Irland), Justin Tipuric (Wales), Sam Warburton (Wales).

Australien

Backs: Israel Folau, Digby Ioane, Joe Tomane, Nick Cummins, Adam Ashley-Cooper, Rob Horne, Pat McCabe, Christian Leali'ifano, Berrick Barnes, James O'Connor, Will Genia.

Forwards: Wycliff Palu, Michael Hooper, Liam Gill, Scott Higginbotham, Ben Mowen, Rob Simmons, James Horwill, Sitaleki Timani, James Slipper, Ben Alexander, Benn Robinson, Sekope Kepu, Stephen Moore, Saia Faingaa.

Spielplan und Ergebnisse der Tour 2013