Erinnert bewusst an den Prager Königsweg: die Promenade entlang des ehemaligen Jesuitenkollegs zur Barbara-Kathedrale in Kutná Hora (Kuttenberg).

Foto: Kirchengast

Auch Fürstenhäuser gehen den Weg alles Irdischen: Daran erinnert einige hundert Meter von der Fürst Schwarzenberg'schen Gastwirtschaft zum goldenen Löwen entfernt...

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...das Familienwappen im Beinhaus von Sedlec, das nur aus menschlichen Knochen besteht.

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Kutná Hora / Wien - Ein junger Mann im dunklen Anzug spielt stehend auf einer alten tragbaren Orgel, einfühlsam und berührend. Eine Nonne betätigt die Blasebälge. Ein Mönch singt dazu. Die Besucher sind dankbar für die entspannende Atmosphäre, der Applaus wirkt befreiend. Denn was sie kurz zuvor erlebt haben, ist nichts für empfindsame Gemüter, obwohl die Botschaft auch ihnen gilt.

Wir befinden uns in der Allerheiligenkirche von Sedlec, einem Vorort von Kutná Hora, rund 70 Kilometer östlich von Prag. Unter uns liegen die Skelette von rund 40.000 Menschen. Etwa einem Viertel von ihnen wurde die posthume Ehre zuteil, zu einem der kuriosesten Kunstwerke beizutragen, das die Menschheit kennt. Im Beinhaus (Ossarium) hat der böhmische Holzschnitzer Frantisek Rint im späten 19. Jahrhundert die Knochen von schätzungsweise 10.000 Menschen verarbeitet.

Von der Decke hängt ein achtarmiger Luster, der fast alle Knochensorten des menschlichen Körpers enthält. Girlanden, Wandschmuck, ein Kelch, eine Monstranz - alles aus menschlichem Gebein. Und links hinten der Hinweis auf die Mäzene, denen dieses makabre Kabinettstück zu verdanken ist: das Wappen des Fürstenhauses Schwarzenberg mit dem Raben, der dem Schädel eines gefallenen Osmanen das linke Auge aushackt.

Auch das Wappen ist ganz aus menschlichen Knochen gefertigt. Es scheint, als wollte das reichste und mächtigste Adelsgeschlecht Böhmens mit einem makabren Augenzwinkern seine eigene und die Vergänglichkeit alles Irdischen illustrieren. Wie überhaupt mangelnde Berührungsängste und eine Unbekümmertheit gegenüber vermeintlich Sakrosanktem dem böhmischen Wesen nicht fremd sind. So ist denn auch der singende Mönch von Sedlec kein Mönch und die Nonne keine Nonne.

Viktor Darebný ist Musiklehrer. Er leitet den gemischten Chor von Kutná Hora und jenen des städtischen Gymnasiums. Sein Schüler Zdenek Licek zieht mit seinen 19 Lenzen die Orgelregister so virtuos, dass man um seine Zukunft als Solist nicht bangen muss. Dása Holá ist zweifache Mutter und - dies allerdings schon - gläubige Katholikin.

Das im wahrsten Sinne eingespielte Trio liefert mit seinen Führungen nicht nur im Beinhaus und der Kirche darüber, sondern auch in der benachbarten Kathedrale Mariä Himmelfahrt beeindruckende Auftritte. Die älteste gotische Kathedrale Mitteleuropas gehörte zu dem 1142 gegründeten Zisterzienserkloster, das heute eine Tabakfabrik beherbergt. Die Kirche wurde nach umfangreicher Rekonstruktion 1995 in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen (wie auch der historische Kern Kutná Horas) - und ist Zentrum der "funktionierenden römisch- katholischen Pfarre" Sedlec, wie "Schwester" Dása betont.

Von den vier Kathedralen in architektonischer Definition (Kranz von Kapellen rund um den Hochaltar) im heutigen Tschechien liegen drei im Raum Kutná Hora. Sie sind geistliche Zeugen eines weltlichen Reichtums, dessen Quelle der Silberbergbau in Kuttenberg war.

Die ersten Funde auf den Ländereien des Zisterzienserordens gegen Mitte des 13. Jahrhunderts lösten einen regelrechten Silberrausch aus. Abenteurer und Geschäftsleute aus ganz Europa zog es nach Kuttenberg. Am Prager Königshof sah man Handlungsbedarf. Mit dem neuen Bergrecht im Jahr 1300 sicherte sich König Wenzel II. ein Achtel des Erlöses aus dem Silberverkauf. Um die gleiche Zeit begann die Prägung des Prager Groschens (Prazský Gros, siehe Abbildung). Der wurde bald zum Vorläufer des Euro: Wegen seiner Qualität und seines hohen Silbergehalts war er in fast ganz Europa anerkanntes Zahlungsmittel.

Der Welsche Hof, wo der Groschen anfangs geprägt wurde, war so etwas wie eine frühe europäische Zentralbank, später unter Wenzel IV. auch zeitweise Königsresidenz. Kuttenberg stand in Konkurrenz zu Prag. Und war gleichzeitig so etwas wie das Las Vegas des Mittelalters. In den zahlreichen Spielhöllen und Schenken wurde mancher Bergmann sonntags sein während der Woche unter härtesten Bedingungen verdientes Geld gleich wieder los. Die Silberschürfer zählten mit sechs Groschen pro Woche zu den Besserverdienern. Ein Münzpräger allerdings kam auf 20 Groschen - am Tag. Vergleiche mit heutigen Banker-Einkommen drängen sich auf.

Wegen sinkender Ausbeute beim Abbau ließen die Könige auch den Silberanteil im Prager Groschen (anfangs 95 Prozent) laufend verringern und zugleich immer mehr Münzen prägen. Die Zentralbank warf die Geldpresse an. Die unvermeidliche Folge: Inflation. Bis zu seinem letzten Prägejahr 1547 verlor der Prager Groschen mehr als drei Viertel seines Wertes.

Dass er sich damit als Vorbild für den Euro disqualifiziert, ist nicht gesagt. Denn immerhin galt er zweieinhalb Jahrhunderte und lebt in den Kathedralen von Kutná Hora auf andere Weise fort. Und im Beinhaus von Sedlec wird kein Unterschied zwischen Bergmann und Präger gemacht. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 4.6.2013)