Maya Sherpa: "Diejenigen, die es sich konditionell, zeitlich und finanziell leisten können, haben das Recht, dort hinaufzugehen." (Im Hintergrund: Der Mount Everest)

Foto: Maya Sherpa

"Für die Sherpas ist der Berg heilig, etwas Gewaltiges mit ungeheurer Dimension." (Blick von Tengpoche aus auf den Everest)

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"Der Tourismus hat positive und negative Seiten." (Im Hintergrund: Cho Oyu)

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"Es besteht die Gefahr, dass das Geld die Leute verdirbt." (Gokyo-See mit Lhotse)

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Vor einigen Wochen ereignete sich am Mount Everest eine handfeste Auseinandersetzung mit Morddrohungen zwischen Sherpas und den Spitzenbergsteigern Ueli Steck aus der Schweiz und Simone Moro aus Italien, die gemeinsam mit dem britischen Fotografen Jon Griffith den höchsten Berg der Welt besteigen wollten. Über die Hintergründe und Ursachen dieses heiklen Zwischenfalls sowie die Bedeutung des höchsten Bergs der Welt für die als Träger engagierten Sherpas sprach derStandard.at mit der in Nepal am Fuße des Everest geborenen Sherpani und Trekking-Tourorganisatorin Buddhi Maya Sherpa.

derStandard.at: In vielen Medien wurde nach der Auseinandersetzung am Mount Everest behauptet, dass es einen lange schwelenden Konflikt zwischen Sherpas und westlichen Bergsteigern gebe. Gibt es den tatsächlich?

Maya Sherpa: Ich glaube nicht. Ich habe von mehreren Seiten, also von Sherpas und von westlichen Bergsteigern, die zu dieser Zeit dort waren, gehört, dass die Sherpas am Vortag der Auseinandersetzung alle zusammengerufen und gebeten haben, am nächsten Tag nicht aufzusteigen, damit die Wege vorbereitet und Fixseile angebracht werden können. Doch die drei westlichen Bergsteiger sind trotzdem aufgestiegen.

derStandard.at: Was ist anschließend passiert?

Maya Sherpa: Einige sagen, dass Eis oder Steine hinuntergefallen sind, die westlichen Bergsteiger dementieren das. Andere wieder sagen, dass es unvermeidlich ist, wenn man dort vorbeigeht, dass Eis oder Steine herunterfallen. Bei der Rückkehr ins Lager 2 wurden die Bergsteiger dann zur Rede gestellt. Der Italiener soll den Sherpas gegenüber böse Worte gesagt haben, auf Englisch, Italienisch und Nepalesisch. Dann ist auch noch der Schweizer fast gestolpert und hat sich bei einem Sherpa festgehalten, der dies aber als Bedrohung gesehen hat, weil die Situation angespannt war.

derStandard.at: Es soll auch eine Rauferei gegeben haben. Stimmt das?

Maya Sherpa: Da sind wohl die Emotionen hochgegangen. Die Sherpas sind ein stolzes Volk, sie machen ihre Arbeit, und viele Expeditionen würden ohne ihre Hilfe nicht auf den Gipfel kommen. Vielleicht haben sie sich erniedrigt gefühlt. Wie auch immer, zu einem Streit gehören immer zwei. Die westlichen Bergsteiger werden auch Fehler gemacht haben. Sie haben viel Kontakt mit Medien, die Sherpas wiederum haben kaum Kontakt zur Außenwelt und mussten daher einstecken.

derStandard.at: Ist der Konflikt auch eine Folge der stetig wachsenden Zahl an Bergsteigern am Everest?

Maya Sherpa: Auf alle Fälle. Wenn so viele Expeditionen unterwegs sind, müssen Regeln aufgestellt werden, damit nicht alle kreuz und quer gehen.

derStandard.at: Das Verhältnis zwischen Sherpas und sogenannten "parasitären Abenteurern", die alleine im Alpinstil aufsteigen und teilweise die Infrastruktur nützen, aber nicht dafür zahlen wollen, soll nicht das beste sein ...

Maya Sherpa: Das spielt vielleicht auch eine Rolle, aber wenn sie sich benehmen und an die Regeln halten, gibt es keine Probleme.

derStandard.at: Sie stammen aus einem Dorf aus der Khumbu-Region am Fuße des Everest. Wie beurteilen Sie das steigende Interesse aus dem Westen am Everest?

Maya Sherpa: In den letzten Jahren sind konstant etwa 30 Expeditionen vor Ort, also insgesamt rund 1.000 Personen. Wenn es so bleibt, ist das schon in Ordnung. Mehr Leute würden bedeuten, dass auch mehr passiert. Aber es geht um den höchsten Berg der Welt, und diejenigen, die es sich konditionell, zeitlich und finanziell leisten können, haben das Recht, dort hinaufzugehen. Wer hinaufgehen will, ist nicht aufzuhalten. Die Sherpas verdienen so Geld und verbessern ihren Lebensstandard.

derStandard.at: Können der Berg und die Menschen in der Region diesen Ansturm an Bergsteigern überhaupt noch bewältigen?

Maya Sherpa: Das haben sie ganz gut im Griff. Obwohl es so viele Expeditionen gibt, passiert relativ wenig, und das Basecamp ist, wie auch Reinhold Messner bestätigt hat, sehr sauber. Neben den "Icefall Doctors", die Leitern legen und Fixseile anbringen, gibt es auch eine Reinigungsexpedition, die sich um den Abtransport von Müll und leeren Sauerstoffflaschen kümmert.

derStandard.at: Reizt Sie der Everest auch?

Maya Sherpa: Nicht wirklich. Der Berg ist eine große Herausforderung, die mit großem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden ist. Ich müsste nur wegen des Bergs zwei Monate weg, habe aber mit meinen Projekten so viele andere Dinge zu tun und viel Verantwortung für die Familie. Ich will mich da nicht so hineinsteigern.

derStandard.at: Welche Bedeutung hat der Berg für die Sherpas?

Maya Sherpa: Für die Sherpas ist der Berg heilig, etwas Gewaltiges mit ungeheurer Dimension. Die Menschen sind ganz klein, und der Berg ist etwas ganz Großes und Mächtiges. Sie beten und geben Opfergaben. Auch beim Aufstieg zum Gipfel beten sie die ganze Zeit. Sie haben großen Respekt.

derStandard.at: Lenkt das Beten während des Aufstiegs nicht ab?

Maya Sherpa: Nein, das gibt Kraft und Sicherheit.

derStandard.at: Wie bereitet sich ein Sherpa auf den Aufstieg vor?

Maya Sherpa: Früher waren sie schlecht ausgerüstet, hatten geringe technische Kenntnisse, waren eigentlich nur mit ihren besonderen Kräften ausgestattet. Heute sprechen sie Englisch, sind klettertechnisch besser vorbereitet und auch gut ausgerüstet. Trainieren wie die westlichen Bergsteiger müssen sie nicht. Sie arbeiten in der Expeditionssaison hart, und in der restlichen Zeit müssen sie teils große Strecken zu Fuß gehen, weil es in der Khumbu-Region keine Straßen gibt. So ergibt sich ihre Kondition von selbst.

derStandard.at: Wie hat sich das Leben der Sherpas in den letzten Jahrzehnten durch die Zunahme des Bergtourismus verändert?

Maya Sherpa: Der Lebensstandard ist auf alle Fälle höher geworden. Es gibt mittlerweile Schulen, Krankenstationen, elektrisches Licht und manchmal auch fließendes Wasser. Alte Häuser wurden renoviert. Der Tourismus hat positive und negative Seiten.

Sicher gibt es auch Umweltprobleme etwa mit dem Müll, und es besteht auch die Gefahr, dass das Geld die Leute verdirbt. Aber wenn man den Tourismus halbwegs im Griff hat, die eigene Tradition und die Bräuche nicht verlässt und so lebt, wie es die Eltern vorgelebt haben, die Umwelt bewusst wahrnimmt und schonend mit ihr umgeht, dann ist es schon okay.

derStandard.at: Reinhold Messner spricht von Pisten, die angelegt werden, um die Bergsteiger möglichst sicher auf den Gipfel zu bringen. Ähnliches soll auch für die anderen Achttausender geplant sein. Eine positive Entwicklung?

Maya Sherpa: Der zusammengetretene Pfad am Everest ist schon extrem. Auf den anderen Achttausendern ist es nicht annähernd so schlimm, dort hält sich der Ansturm in Grenzen. Man hört auch nicht viel von den anderen Achttausendern in Nepal. Nur unlängst habe ich gelesen, dass am Dhaulagiri drei Bergsteiger unter eine Lawine gekommen und am Kangchendzönga fünf Leute verschüttet worden sind. Wenn man bedenkt, was am Großglockner im Sommer passiert, dann halten sich die Unfälle auf den Achttausendern in Grenzen.

derStandard.at: Der höchste Berg der Welt lockt Rekordjäger, egal ob 80-Jährige, Jugendliche oder Blinde. Geht so der dem Berg gebührende Respekt langsam verloren?

Maya Sherpa: Sicherlich. Aber was soll man machen? Den Leuten gefällt es, Rekorde aufzustellen. Ich kenne Appa Sherpa, der 21-mal auf dem Everest war, gut und habe erst kürzlich mit Tsering Dorji Sherpa telefoniert, einem Verwandten, der 14-mal oben war. Für sie ist es normale Arbeit.

derStandard.at: Aber das Risiko wird durch solche Expeditionen sicher nicht geringer.

Maya Sherpa: Das ist ihnen bewusst.

derStandard.at: Wenn Sie einen Vergleich der Kulturen zwischen Sherpas und Österreichern wagen, was fällt auf?

Maya Sherpa: Zwischen den Bergvölkern in den Alpen und in Nepal gibt es viele Parallelen. Egal ob im Alltag oder in der Familie, wie sie arbeiten, denken oder zusammenleben. Die Menschen in Nepal sind sehr eng in der Religion verwurzelt, Traditionen und Bräuche werden gepflegt und bestimmen den Alltag. Die Leute leben auch heute noch in Großfamilien, die Älteren werden respektiert, die Familie hält zusammen. Weil es kein Sozialsystem gibt, ist es wichtig, dass man sich gegenseitig hilft. Am Land ist das auch in Österreich noch teilweise so, aber in den Städten lebt jeder für sich. Vergnügen, Freizeit und Freiheit stehen im Mittelpunkt. In Nepal sind die Menschen viel mehr auf Familie, Gesellschaft, soziales Zusammen- und Überleben fokussiert. (Thomas Hirner, derStandard.at, 4.6.2013)