Er wechselt häufiger seinen Hut: Vom "besorgten Vertreter der Menschheit" , wie sich Martin Rees selbst nannte, schlüpft der 70-Jährige auch in die Rolle des Astronomen. Dann spricht er über den Ursprung des Universums.

"Als ich mit meiner wissenschaftlichen Arbeit anfing, wussten wir noch nicht, ob das Universum einen Anfang hatte oder sich in einem stabilen Zustand befindet. Heute wissen wir schon sehr viel über die ersten Sekunden des Universums", sagt der Forscher, der zu den renommiertesten Großbritanniens zählt. So lieferte erst jüngst das Planck- Weltraumteleskop der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) Daten, die eine Aufnahme der ältesten Lichtstrahlung im All bieten. Die Beobachtungen mit großen Teleskopen und Computersimulationen tragen zum besseren Verständnis des Urknalls bei. Auch der Astrophysiker und Kosmologe Sir Martin Rees beschäftigte sich wissenschaftlich mit Phänomenen, die auf den Ursprung verweisen: etwa mit der Entstehung von Galaxien und der Herkunft der kosmischen Hintergrundstrahlung. Doch bei allem Fortschritt - eine Wissenslücke bleibt: "Wir wissen nach wie vor nicht, was beim Urknall zusammenprallte und warum."

"Unsere derzeitigen Theorien bringen uns nur zurück zu einer Sekunde oder sogar zu einer Nanosekunde, also zehn hoch minus neun Sekunden", erläutert Rees. Das sei etwa der Zeitpunkt, als die Partikel jene Energien hatten, die mit den Experimenten im Teilchenbeschleuniger LHC im Kernforschungszentrum Cern produziert werden können. Doch was davor geschah, ist offen.

Kleiner als ein Atom

Eine gängige Vorstellung ist, dass das Universum zu Beginn weitaus kleiner als ein Atom war und sich dann schlagartig aufgebläht hat. Direkt nachweisbar ist das noch nicht. "Wir brauchen wohl die Weltformel, denn alle diese Dinge sind in den ersten zehn hoch minus 36 Sekunden des Universums festgehalten." Die Weltformel bedeutet die Vereinigung der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins. Denn die "Welt des Kleinen" und die "Welt des Großen" stehen bisher noch im Widerspruch. Für Rees liegt hier "das unerledigte Geschäft des 21. Jahrhunderts".

"Es gibt eine große Lücke zwischen jener Physik, die wir verstehen und die uns reicht, den Urknall mit einigem Vertrauen ab der ersten Nanosekunde zu simulieren, und jener, die wir bräuchten, um die großen Fragen zu beantworten." Dazu zähle etwa auch, ob unser Satz von Naturkonstanten der einzig mögliche sei. Und ob unser Urknall der einzige war - oder einer von vielen. "Es gibt die Idee, dass es ein Multiversum gibt", so Rees. Forscher wie der Physiker Andrei Linde widmen sich dieser Frage. Hier wären in den einzelnen Universen die Naturgesetze verschieden ausgeprägt - und damit nur in manchen (wie unserem) Leben möglich. Noch ist das rein spekulativ, sagt Rees. Dennoch: "Es gibt jedenfalls Grund für den Verdacht, dass die Region, die wir heute sehen, unser Universum, nur ein kleiner Teil einer größeren physikalischen Realität ist." (ly/DER STANDARD, 5. 6. 2013)