Istanbul - Übergewicht gilt zwar als Risikofaktor für eine Reihe von Erkrankungen, doch im Alter kann auch geringeres Körpergewicht zum Problem werden. Nach Hüftfrakturen haben ältere Menschen mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI) ein geringeres Sterberisiko, zeigt eine aktuelle Studie aus Schweden, die auf dem 14. Kongress der Europäischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie (EFORT) in Istanbul präsentiert wurde.
"Schwedische Patienten mit Hüftfraktur sind im Durchschnitt 83 Jahre alt. Sowohl die Komplikationsrate als auch die Mortalität sind nach diesen Verletzungen hoch - was zeigt, wie gebrechlich die Patienten sind“, so die Erstautorin der Studie, Lena Flodin vom Karolinska Institut in Stockholm.
Für ihre Studie beobachtete die Medizinerin 843 Hüftfraktur-Patienten, die älter als 65 Jahre waren. "Das primäre Ziel der Studie bestand darin, den Einfluss des Body Mass Index als Prädiktor für die Mortalität innerhalb eines Jahres in einem ansonsten relativ gesunden Kollektiv zu evaluieren", erläutert Flodin.
Druckgeschwüre - erhöhtes Risiko
Die Patienten hatten vor ihrer Hüftfraktur im eigenen Haushalt gelebt und waren kognitiv nicht ernsthaft beeinträchtigt. "Die Untersuchung zeigte, dass ein niedriger BMI bei einer Hüftfraktur ein deutlicher Prädiktor für Tod innerhalb eines Jahres ist. Darüber hinaus war ein niedriger BMI auch mit einem erhöhten Risiko von Druck-Ulzera (Druckgeschwür, Anm.) assoziiert und erlaubte Aussagen über die Fähigkeit der Patienten, weiterhin ein selbständiges Leben zu führen", ergänzt die Wissenschaftlerin. Im Gegensatz dazu hatten Patienten mit höherem BMI auch signifikant bessere Chancen, zu einem selbständigen Leben zurückzukehren.
"Sinn des Body Mass Index ist es, bei Erwachsenen die Auswirkungen von Körperfett auf Morbidität und Mortalität vorherzusagen. In Schweden gilt gemäß den Vorgaben der Gesundheitsbehörden bei Personen zwischen 65 und 70 Jahren ein BMI von 20 als unterer Grenzwert, bei den über 70-jährigen liegt der Wert schon bei 22. Darunter gehen wir von Untergewicht und möglicherweise Mangelernährung aus", so Flodin. Demnach wirkt sich sowohl ein zu hoher als auch ein zu niedriger BMI ungünstig auf die Gesundheit aus.
Problematik des BMI
Allerdings hat der BMI auch eine Reihe von Schwächen. Ein hoher Wert korreliert zwar gut mit Adipositas, wichtige Faktoren wie Alter, Geschlecht und Muskelmasse werden jedoch ausgeblendet. "Daher gibt es bei älteren Menschen auch keinen Konsens hinsichtlich der Grenzwerte", erklärt die Forscherin.
"Man geht davon aus, dass die Mortalität bei geriatrischen Patienten mit einem niedrigen BMI höher ist als bei normalem BMI. Das ist ein häufiges Problem. Frühere Untersuchungen aus Schweden haben gezeigt, dass die Inzidenz von Mangelernährung bei allein lebenden älteren Menschen zwischen 14 und 41 Prozent liegt. In einer Arbeit wurde bei 25 Prozent der Patienten mit Hüftfraktur ein problematisch niedriger BMI gefunden.
Hinweise gibt es auch auf eine postoperative Reduktion des BMI sowie einen Verlust an Muskel- und Knochenmasse im ersten Jahr nach einer Hüftfraktur. "Das ist auch naheliegend, denn die Nahrungskarenz vor der Operation und die Wartezeit bedeuten reduzierte Kalorienaufnahme und können bei den älteren Patienten einen Abbau vor allem von Muskelmasse bewirken. Wir werden nach den aktuellen Ergebnissen weitere Studien benötigen, um besser zu verstehen, wie BMI und Ernährungsstatus bei alten Menschen korrelieren", gibt Flodin zu bedenken. (red, derStandard.at, 5.6.2013)