Michael Nitsches "Take me on the other side".

Foto: Matthias Bildstein

Wien - Haare und Stoffbänder flattern im Wind, und dem Rehkitz, das da auf dem Unterkiefer eines anderen Waldbewohners Schlitten fährt, lässt die rasante Reise die Tränen aus den Augen spritzen. Gezogen wird dieses schnittige Juchhe!-Gefährt von einem langhaarigen, schwarzflügeligen Wesen. Man glaubt fast Glöckchenklingeln und Jauchzen zu vernehmen, wäre da nicht das weniger lichte Wesen, knochig und fratzenhaft, das dem süßen Bambi mit den großen roten Aufsteckohren von hinten über die Schulter schaut: Der Titel Dancing with a Ghost (2012/2013) gibt dann Gewissheit: Der Himmelsritt scheint die finale Fahrt des Rehs zu sein.

Eros und Thanatos, Lust und Schmerz, Leben und Verlust: Die schicksalhaft miteinander verwobenen Paare sind wiederkehrendes Thema in Michael Nitsches (geb. 1961) Figuren, die aus nordischen Mythen und Sagen entsprungen scheinen. Auch in Take me on the other Side - When Doves Cry turnt ein Lichtwesen lustvoll an einem mit Zähnen gespickten und wie für einen Voodoo-Zauber dekorierten Ballon.

Ist der Gesamteindruck auch lustvoll, so offenbart sich doch manch Gespenstisches im Detail: Echte Zähne, Knochen und Klauen, ja ganze Tierpräparate (alte, ausgemusterte aus Naturkundesammlungen) statt der früher überwiegend verwendeten Plüschtiere nutzt Nitsche nun für seine hybriden Wesen. Angekleidet entfernen sich diese von ihrer tierischen Natur, werden menschlicher. Mit Paraffin wie mit Geburtsschleim überzogen treten sie ins Leben.

Und das schmerzt. It hurts me so beautifully heißt die Ausstellung, die an das Weh des Lebendigseins denken lässt, das aber für das Gute, was das Schicksal für einen bereithält, gerne in Kauf genommen wird. Nicht nur formal ist Nitsches Praxis einzigartig. Das im Surrealismus beschworene Unterbewusste verbindet sich mit spielerischen Motiven und Metaphern zu dem sich bisweilen auch zum Affen machenden Tier Mensch. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 6.6.2013)