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Ein Teil der führenden türkischen Regierungspolitiker distanziert sich mittlerweile von Premier Erdogan, den die Protestbewegung mit Hitler vergleicht.

Foto: REUTERS/Stoyan Nenov

Der eine hat die Namen auf der Liste gesucht, der andere die Mikrofone bei der improvisierten Erklärung an die Presse: Nicht dass die Vertreter der Besetzerbewegung vom Taksim-Platz keine Erfahrung mit der Öffentlichkeit hätten; doch der Rummel um das erste Treffen mit der türkischen Regierung am Mittwoch in Ankara machte einige der Teilnehmer sichtlich nervös.

In der Sache blieben sie gleichwohl hart. Die Vertreter der Plattform "Taksim Solidarität" übergaben Vizepremier Bülent Arinç eine Liste mit Forderungen. Von deren Beantwortung durch die Regierung hänge ab, wie die Proteste weitergingen, erklärte Eyüp Muhçu, Präsident der Architektenkammer von Istanbul. Arinç, der sich am Vortag im Namen der Regierung für das gewalttätige Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten entschuldigte, nahm zunächst nicht zu den Forderungen Stellung.

Die Sprecher der Demonstranten fordern den Rücktritt der Polizeichefs, die für die ersten Angriffe auf die Demonstranten verantwortlich waren, die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten und den Stopp des Tränengaseinsatzes. Sie verlangen zudem den Erhalt der Parkanlage am Taksim-Platz, an der sich die Proteste entzündeten und schließlich auf das ganze Land ausbreiteten. Auch alle anderen geplanten Baumaßnahmen am Taksim-Platz sollen eingestellt werden.

Auch am Mittwoch setzte die Polizei in Ankara Tränengas und Wasserwerfer gegen demonstrierende Gewerkschafter ein. In Istanbul waren am Mittwoch tausende Menschen den Aufrufen der linksgerichteten Gewerkschaften KESK und DISK zu Massendemonstrationen gefolgt.

Ungewisses Echo

Offen ist, inwieweit die Vertretergruppe überhaupt für die Zehntausende spricht, die sich täglich auf dem Taksim-Platz und in anderen Großstädten versammeln. Deren allgemeine Forderung ist der Rücktritt von Tayyip Erdogan und dessen Regierung. Der Gruppe, die am Mittwoch von Arinç eingeladen war, gehörten neben dem Architekten Muhçu die Präsidenten der Städteplanerkammer und der Ärztekammer von Istanbul sowie zwei Gewerkschaftsvertreter an.

Eine Vielzahl türkischer Regierungspolitiker distanzierte sich mittlerweile indirekt von der unnachgiebigen Haltung Erdogans. Neben Arinç, Staatspräsident Abdullah Gül und Parlamentspräsident Cemil Çiçek erklärte auch Ali Babacan, der Staatsminister für Wirtschaft, man müsse "dem Volk zuhören".

Der Gezi-Park, eine der wenigen Grünanlagen in der Millionenstadt Istanbul, soll nach dem Willen Erdogans dem Wiederaufbau eines Garnisonsgebäude aus osmanischer Zeit weichen. Für das Großprojekt war im Plan kein Verwendungszweck ausgewiesen. Diskutiert wurde die Freigabe für eine weitere Shopping Mall; Erdogan nannte als Möglichkeit auch ein "Stadtmuseum", bevor er diese Woche zu einer Reise nach Nordafrika aufbrach.

In Izmir wurden nach Angaben türkischer Medien zwischen 38 und 16 Personen wegen Mitteilungen, die sie auf Twitter schrieben, festgenommen. Die Anklage soll auf "Anstachelung zur Rebellion" lauten, gaben Anwälte an. Erdogan hatte Twitter als "Unheil" bezeichnet, das Lügen verbreite. (Markus Bernath, DER STANDARD, 6.6.2013)