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Das Buch ist ein Abenteuer, in dem Engelswelten, Energiesprays, Bewusstseinsstufen, Lichtkörper und Chakren die Hauptrollen spielen.

Foto: Molden Verlag

"Wundern Sie sich nicht über den wenig sparsamen Einsatz von blumigen Spitzfindigkeiten. Diese sollen keinesfalls über den offensichtlichen Wahnsinn hinwegtäuschen, doch erträglicher machen sie ihn allemal", schreibt Johannes Fischler. In seinem neuen Buch "New Cage: Esoterik 2.0 - Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt" führt der Psychologe und Online-Vermarkter den Leser durch die Welt der Esoterik - und warnt gleich vorweg: Eine "supersachliche Faktensammlung" sei das nicht, denn um sich auf das Thema einzulassen, müsse man sich "wohl oder übel auf die Seite des Phantastischen begeben".

Damit beginnt ein Abenteuer, in dem Engelswelten, Energiesprays, Bewusstseinsstufen, Lichtkörper und Chakren die Hauptrollen spielen: eine Reise in eine sehr strukturierte Parallelwelt, die längst das Internet erobert hat und mit Hilfe von Marketingstrategien und psychologischen Tricks Menschen Schritt für Schritt und Stufe für Stufe in ihren Bann zieht. Der "spirituelle Berufene" ist der "User", der zur "Markentreue" animiert wird. Der "Kaufrausch" diene dabei als "Ekstaseritus der Postmodernen". Damit, schreibt Fischler, wird "Spiritualität zum bloßen Konsumgut".

Drehbuch-Dramaturgie vom Feinsten

Parallelen zieht Fischler nicht nur zu Vermarktungs- und Werbestrategien von Red Bull, Apple und Nespresso - auch "Star Wars" erhält im Buch einen prominenten Platz. Immerhin folgt der Film der klassischen "Heldenreise" - und dieser Drehbuch-Dramaturgie bedient sich auch die Esoterikszene.

Im Hauptteil des Buches befasst sich der Autor mit zehn Schritten, die die Regeln dieser Parallelwelt verdeutlichen sollen. In Schritt eins wird der User emotional angelockt. Nicht zuletzt über die verwendete Sprache: Sätze ohne Punkt und Komma, garniert mit Fachchinesisch und Schreibfehlern. Bei Großveranstaltungen wird außerdem mit der Technik der "intensivierenden Verlangsamung" gearbeitet: Zusammenhanglose Satzgebilde schalten das Gehirn aus. Aufmerksamkeit, Bestätigung und gespielte Herzlichkeit werden dem "User" zuteil - und dieser weiß das zu danken: Ob Artikel, spirituelle Behandlungen oder der Besuch von Großveranstaltungen - Esoterik sei, schreibt Fischler, nichts anderes als "käufliche Liebe - nur diesmal nicht am Straßenrand".

Klassische Konditionierung

32 Sorten Engelssprays, 37 Gattungen Lichtkristalle und 109 Variationen von Aura-Soma-Ölen - die Auswahl auf dem Esoterikmarkt ist enorm. Die "kitschige LSD-Farbenpracht", die "Überfülle an Sinnesreizen" und "phantastische Geschichten" prägen "esoterische Markenwelten" und führen zu Dopamin-Ausschüttungen - und das wiederum verleitet zum Kauf. Im weiteren Schritt werden die Anhänger klassisch konditioniert: Großveranstaltungen provozieren Hochgefühle im Kunden, nicht zuletzt geben sie den Anhängern das Gefühl von Anschluss, auch durch die Aufmerksamkeit der "Gleichgesinnten" bei der Zurschaustellung des eigenen Wissens, das auch mit dem Erlangen von Diplomen dokumentiert wird.

In Schritt sechs beschreibt Fischler das Entstehen einer neuen Kultur durch das gemeinsame Verdrängen. Von Zweifeln geplagt, befinde sich der "User" in einer Art Disharmonie. Kompensiert wird diese durch den steigenden Bedarf an "energetischen Diensten". Die eigene Unruhe wird auf die Kritiker übertragen, äußere Zweifel ließen innere vergessen. Gleichzeitig spielen die Drahtzieher der Szene mit der Doktrin "Selbst schuld" - positive Gedanken ziehen positive an, und wer negativ denke, bekomme über kurz oder lang die Rechnung präsentiert. Damit wird nicht nur das Unbehagen der "User" verdrängt, sondern auch deren Unzufriedenheit durch den Kauf von energetischen Produkten kompensiert.

Symptome der Depersonalisierung

Den Drahtziehern widmet der Psychologe ein eigenes Kapitel. Hier vergleicht er sie mit dem Ikea-Gründer Ingvar Kamprad und seiner Politik der "Nicht-Inszenierung". Die Köpfe der Szene ziehen sich immer mehr zurück, durch das Internet sei der User selbst in einer "vermeintlichen Eigenständigkeit", er könne sich selbst weiterbilden und die notwendigen Produkte jederzeit kaufen, um "energetisch laufend flüssig zu bleiben". Außerdem arbeite die "moderne Vertriebsspiritualität" nicht mehr mit einem einzigen, großen Anführer, sondern baue auf einem Pyramidensystem auf.

Um schließlich die letzten inneren Widerstände abzubauen, wird den "Usern" die unaufhörliche Arbeit an sich selbst eingetrichtert. Ob nun Arbeitslosigkeit, Abbruch von sozialen Kontakten, schlaflose Nächte oder Panikattacken - das alles seien in der Esoterikszene "Transformationssymptome", also "Anzeichen der spirituellen Lichtwerdung". Hier vergleicht der Autor den psychischen Zustand der "User" mit der Depersonalisation.

Neben dem Märtyrertum werden Feindbilder immer stärker nach außen getragen. "Abseits vom Zweifel sind dies in erster Linie der eigene Verstand, das Denken, übertriebenes Grübeln oder jedwede Form kritischen Hinterfragens: All das hat in der Wirklichkeit des bloßen Fühlens keinen Platz", schreibt Fischler. Im finalen Schritt zehn schlussendlich behandelt der Autor die Frage der Nachwuchssicherung in esoterischen Kreisen durch die Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig führe die endlose Beschäftigung mit neuen Energien und Dämonen dazu, dass keine Zeit für "Kernfragen des Daseins" bleibt.

Starker Tobak

Zugegeben: Der Schreibstil des Autors ist nicht jedermanns Sache und mag für einige gewöhnungsbedürftig sein. Fischler ist nämlich nicht nur Liebhaber von Metaphern, jongliert gerne mit Anglizismen und benutzt viel Fachjargon - auch weniger Zwischenüberschriften hätten dem Lesefluss sicher nicht geschadet.

Phasenweise besteht zudem das Risiko, vom umfangreichen Wissen fast erschlagen zu werden - verliert man kurzfristig den roten Faden, helfen aber die Kurzzusammenfassungen, die jedes einzelne Kapitel abschließen. Zusätzliche Wissenskästen runden die Informationspalette ab. Im "Esoterischen Who is Who" werden etwa die Pioniere von Kryonschule, "Matrix Energetics" oder auch die Schöpferin der "Engelsessenzen" vorgestellt.

Die Recherche hinter diesem Werk wird zwischen den Zeilen deutlich, die Informationsfülle ist enorm - dem versucht Fischler mit einer ordentlichen Portion Humor entgegenzuwirken. Finden sich doch neben der Schilderung von abgebrühten Marketingstrategien und Bewusstseinskontrolle Sätze wie "Schutzengel haben mit Staubsaugern vor allem eines gemeinsam: Es besteht immer ein gewisser Bedarf" - oder auch folgendes Angebot: "Waxing by Angels: Ob glatte oder haarlose Arme, Beine, Rücken oder ein professionell gewachster Intimbereich: Bei unseren Engeln erhalten Sie samtweiche Haut."

Die spitzen Bemerkungen mögen den Inhalt erträglicher machen. Starker Tobak ist das Buch trotzdem. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 6.6.2013)