"Engelswelten schaffen bewusste Abhängigkeiten."

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Weil einer seiner Bekannten in die Welt der Esoterik geflüchtet und dadurch der Kontakt abgebrochen ist, hat Johannes Fischler zu recherchieren begonnen. Daraus ist ein Buch entstanden. Wie es dem Autor bei den Hintergrundrecherchen ergangen ist, wie Betroffene reagieren können und welche Ideologie hinter den Produkten der von ihm so genannten "Hardcore-Esoterik" steckt, erzählt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie sprechen in Ihrem Buch von der "Hardcore-Esoterik". Warum "Hardcore"?

Fischler: Diese Art der Esoterik ist mehr als nur Wünschelrutengehen, in Wahrheit schaffen diese Engelswelten bewusst Abhängigkeiten. Außerdem sind die dahinterstehenden Doktrinen oft elitär und rassistisch. Ein Engel ist selten schwarz, zu dick oder sitzt im Rollstuhl. Auch die Symbolik zahlreicher Produkte speist sich aus der Esoterik des 19. Jahrhunderts, maßgeblich beeinflusst durch die Theosophie von Helena Petrovna Blavatsky. Sie redet von sieben Wurzelrassen, die dritte ist die lemurische, die vierte ist die atlantische, die fünfte sei die arische Wurzelrasse - das hat nicht nur Rudolf Steiner, den Begründer der Waldorfschulen, beflügelt, auch Heinrich Himmler fand bei Blavatsky und ähnlichen Okkultisten zweckdienliches Gedankengut für seine "Ariosophie". Derartige Vorstellungen leben nun in der "modernen" Esoterik unbemerkt weiter.

derStandard.at: Woran sind diese erkennbar?

Fischler: Sie verstecken sich oft hinter Produktbezeichnungen, etwa bei lemurianischen Energiekristallen, St.-Germain-Elixieren oder anderen energetischen Mittelchen, die ihre Namen aus der sogenannten "Großen Weißen Bruderschaft" beziehen. Noch schlimmer wird es, wenn man derlei Ideologien dann in Apotheken bekommt, abgefüllt im Pumpzerstäuber - als Auraspray, versteht sich.

Dazu passend wird in esoterischen Bestsellern auch gerne einmal der Erzengel "Ariel" gechannelt, seines Zeichens der Experte für "spirituelle Hygiene" und Anführer der sogenannten "Kreissicherheits-Gruppe". Die soll dann alle "Parasiten" im interdimensionalen Kommunikationsgitter beseitigen und uns vor karmischen Verunreinigungen anderer Menschen schützen.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich den Erfolg dieser Esoterikbranche?

Fischler: Wir haben ja permanent Identitätskrisen. Ich rede gerne von der "Multioptionskrankheit": Wenn man sich einmal für etwas entschieden hat, denkt man sich hinterher, dass womöglich doch die andere Entscheidung die bessere gewesen wäre, und hat dann das Gefühl, dass man etwas versäumt. Schließlich erleben wir weniger einen Mangel, sondern viel eher ein Überangebot an möglichen Identitätsentwürfen und Sinnoptionen. Und eben dieses Zuviel macht uns alles andere als glücklicher. Ganz im Gegenteil: Oftmals ist gerade die Reduktion von Optionen wichtig für das eigene Glücksempfinden. Daher besinnen wir uns zurück, nehmen die gleichen ideologischen Einhausungen wie früher und verpacken sie neu. Und so verbirgt sich hinter dieser "neuen" Spiritualität oft nichts anderes als eine Retroromantik, gepaart mit Modernitätsfeindlichkeit.

derStandard.at: Ist jeder empfänglich für Esoterik?

Fischler: Natürlich sind Leute mit psychischen oder anderen Problemen anfälliger, aber: Mit Marketing kann man jeden kriegen, denn Marketing braucht niemanden, der ein Problem hat. Schließlich lebt Werbung geradezu von der Schaffung künstlicher Bedürfnisse. Dabei wohnt das Irrationale schon den herkömmlichen Markenwelten gewissermaßen inne. Gerade aber die Esoterik lebt von der Beseitigung meist rein imaginierter Blockaden und Störfelder. Schritt für Schritt entfliehen Involvierte dann oft in eine funkelnde Wirklichkeitsblase.

Ab einem gewissen Punkt dreht sich dann alles nur mehr um das eigene Selbst, das erinnert dann sehr an frühkindlichen Narzissmus - und Narzissmus ist die Epidemie auf der Welt schlechthin. Verschärft wird das Ganze durch geschickte Bewusstseinskontrolle. Ob nun beim Kult rund um Lichtwesen, Engel oder innerhalb der göttlichen Matrix: Wie bei süchtigen Online-Rollenspielern zählt vor allem das Aufgesogen sein von diesen Glitzerwelten. Dabei empfinden Esoteriker auch unterschiedlicher Labels füreinander so etwas wie Familienähnlichkeit.

derStandard.at: Für die Recherchen haben Sie unter anderem Engelskongresse besucht. Wie ist es Ihnen dort ergangen?

Fischler: Wenn man mit 1.600 Leuten im Saal sitzt, beeindruckt das jeden. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich gedacht habe: "Eigentlich ist es sehr angenehm hier, mit so vielen netten Menschen." Ich habe bemerkt, wie ich mich wohlgefühlt habe und dass es dann irgendwann normal war, in diesem Saal zu sitzen, während auf dem Podium Engelsbotschaften empfangen und weitergegeben werden.

Ich habe mir dann selbst sagen müssen: Stopp! Und dann habe ich die Perspektive gewechselt. Solche Veranstaltungen laufen immer nach dem gleichen Schema ab: Hymnische Hochgefühle werden geschickt provoziert, mit vermeintlichen Lichtwesen verknüpft und schließlich abgefüllt im Engelsspray mit nach Hause genommen. Ein simples Betätigen des Pumpzerstäubers genügt, und man ist wieder "online". Der beständig Konsumierende generiert dabei eine Art rituelle Teilhabe an etwas Magischem, den Anschluss an ein vermeintliches größeres Ganzes - solange der Vorrat reicht.

derStandard.at: In Ihrem Bekanntenkreis ist jemand in die Welt der Esoterik abgedriftet. Hat Sie das bewogen, das Buch zu schreiben?

Fischler: Durch meinen Bekannten habe ich begonnen zu recherchieren. Als ich gemerkt habe, wie perfide die Menschen in Wahnsinnswelten hineingezogen werden, entwickelte ich ein großes Mitteilungsbedürfnis. Denn viele Betroffene landen in der Psychiatrie, manche bringen sich sogar um, aber darüber redet niemand. Ich habe viel mit Freunden gesprochen, und irgendwann habe ich mir gedacht: Okay, jetzt muss ich ein Buch schreiben. Ich muss die Informationen loswerden. Wenn dadurch von Angehörigen oder Psychotherapeuten der Ernst der Lage erkannt wird, die Bevölkerung für das Thema sensibler wird und weniger Menschen in der Psychiatrie landen, dann hat es sich gelohnt.

derStandard.at: Wie sollten Menschen darauf reagieren, wenn sich Angehörige in die Esoterikszene begeben?

Fischler: Auf keinen Fall dagegen argumentieren. In dieser neospirituellen Welt gilt die Doktrin "Halte dich von negativen Energien fern". Und sobald jemand gegen die Esoterik redet, sind das niedere Schwingungen, von denen sich der Betroffene dann abgrenzt. Dabei sollte man niemals vergessen: Gerade im Unverständlichen besteht die Wirkmacht der Esoterik. Die Involvierten sind oft in einem regelrechten Rauschzustand, und der Rationalist ist das Feindbild per se. Angehörige sollten also Interesse zeigen, empathisch sein und nachfragen, eine gemeinsame Basis suchen.

Die Esoterik fußt ja auf massiver Gesellschaftskritik, die teils auch berechtigt ist, da gibt es auch Anknüpfungspunkte. Durch die schafft man eine Verbundenheit, und so bleibt man an dem Menschen dran. Und ganz wichtig ist die professionelle Hilfe durch kompetente Experten, Psychotherapeuten und Beratungsstellen wie die Bundesstelle für Sektenfragen. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 7.6.2013)