Wien - Gott, wie großartig. Als am Ende dann, von Rattle nach allen Regeln der Kunst vorbereitet, die letzte Tonika endlich stand: strahlend wie ein Held, fest wie eine Burg, beglückt empfangen wie das 13. Monatsgehalt. Doch auch die eineinhalb Stunden davor: ein herausragendes Konzerterlebnis, vonseiten des Dirigenten wie des Orchesters. Bruckners Symphonien - Simon Rattle hatte am Montagabend die Siebte etwas überinterpretiert in Klang gesetzt - haben etwas Weites, Ewiges, in kosmische Sphären Ausstrahlendes an sich; Mahler ist den umgekehrten Weg gegangen und hat die Welt mit all ihrem Klagen und Klingen, Beben und Rauschen in seine Symphonien gepackt.

Die Gestaltungslandschaft der gegensätzlichen, farbigen Szenerien, welche Mahler auch in der in jenseitige Sphären weisenden Zweiten füllhornartig ausschüttet, liegt Rattle ideal. Urgewalt, zu ruppiger Kraft geballt, so begannen die tiefen Streicher: bar jeden Theaterdonners, dafür mit einer emotionalen Dringlichkeit, die einen unmittelbar anpackte und die die ganze Aufführung prägen sollte. Frappierend, wie nah Rattles Interpretation der Zweiten in diesem Aspekt wie auch in sehr vielen anderen Details an jener Claudio Abbados mit dem Lucerne Festival Orchestra von 2003 war - wohl eine Chefdirigententraditionslinie bei den Berlinern.

Die Streicher waren mehr ein Hauch- als ein Tonproduzent bei den lyrischen Passagen des ersten Satzes; luftig, mit äußerster Zartheit und Vorsicht getanzt war der Beginn des zweiten. Die Solopartien (Anne Sofie von Otter, Sarah Fox) hätte man sich strahlkräftiger wünschen können, gut die Wiener Singakademie (Leitung: Heinz Ferlesch), effektvoll das variabel platzierte Fernorchester, nur beim Blech des großen Orchesters minimale Patzer. Im fünften Satz gab es dann unendlich fein gewobene Klangware wie auch Höhepunkte, die den Atem stocken ließen und den Puls beschleunigten. Und Crescendi der Schlagwerkgruppe, die machten, was sie machen sollten: Angst.

"Sterben, um zu leben"? Die Message des Werks muss nach dieser Aufführung umgeschrieben werden: leben, um die Berliner Philharmoniker beim nächsten Gastspiel in Wien wiederzuhören. (Stefan Ender, DER STANDARD, 7.6.2013)