Sieht so die Zukunft urbanen Lebens aus? "NA House" von Architekt Sou Fujimoto in Tokio. 

Foto: Iwan Baan

Und auch ein Blick in die Zukunft europäischen Lebens. Denn Megastädte und wachsende Platznot stehen uns bald auch im Westen bevor.

Wien - Auf den ersten Blick ist unklar, ob es sich um ein Haus oder um ein überdimensionales Plastikspielzeug mit Playmobil-Figuren handelt. Während im Erdgeschoß eine blaue Ente parkt, stehen auf den einzelnen Plattformen eingetopfte Bäumchen, grüne Stühle und adrett in Szene gesetzte Menschenfiguren.

Das Einfamilienhaus NA in Tokio hat eine Grundfläche von nur 50 Quadratmetern. Europäische Architekten würden bei so einer Bauaufgabe die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sofort kehrtmachen. Der japanische Architekt Sou Fujimoto hingegen, der in den kommenden Tagen den von ihm geplanten Serpentine Pavillon in London eröffnen wird, nutzte die Chance und errichtete auf dem Grundstück ein fragiles Gebilde aus Stahl und Glas - mit 21 unterschiedlichen Ebenen und 85 Quadratmetern Wohnfläche.

Das NA House ist eines von insgesamt 70 Gebäuden, die derzeit im Mak zu sehen sind. Die Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien ist eine Collage aus Projekten und sozialen Stadtinitiativen aus Japan, Südkorea, China und Taiwan. Gezeigt werden Massenwohnbau, Bildungsbauten, parasitäre Architekturen, nomadische Lebensformen sowie Emergency-Projekte in der von Erdbeben und Tsunamis heimgesuchten Katastrophenregion Tohoku in Japan.

Zu sehen sind aber auch ortsungebundene asiatische Phänomene wie etwa " Illegal Cities", niemals schlafende "7-Eleven-Cities" und sogenannte chinesische "Urban Villages", ehemalige Dörfer also, die nach und nach von den Wolkenkratzern der heranwachsenden Stadt aufgefressen werden. Als Ausstellungsdisplays dienen weiß lasierte Holzparavents, die frei im Raum stehen. Die Assoziation zu Reispapierwänden und minimalistischen Wohnkonfigurationen aus Nippon ist sicher nicht ungewollt.

Faszination Orient: Ein Bluff?

"Wir sprechen in der Ausstellung von östlichen Versprechungen", sagen die beiden Kuratoren Christian Teckert und Andreas Fogarasi. Der eine ist Architekt, der andere ist Künstler. "Der Titel ist eine Art selbstreflexiver Bluff, denn wenn wir von einer Faszination des Orients ausgehen, die es ohne Zweifel gibt, dann geht diese Faszination immer auch mit bestimmten Erwartungshaltungen und Versprechungen einher. Was ist anders als in Europa? Was prägt den Lebensalltag in diesen Ländern? Und findet man dort etwas, von dem man für unsere westliche Gesellschaft lernen kann?"

Man findet. Mit der steigenden Bevölkerungszahl in den ostasiatischen Metropolen wird Wohnraum immer knapper, immer seltener, immer teurer. Während in Österreich rund 42 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf entfallen, sind es in Japan 30 und in China 27. In dicht bebauten Großstädten wie etwa Schanghai muss ein durchschnittlicher Einwohner sogar mit 8,4 Quadratmetern Wohnfläche auskommen. Wohnungen mit 15 bis 20 Quadratmetern sind keine Seltenheit.

"Hier zeigt sich eine Qualität, die es in Europa definitiv noch nicht gibt", meint Fogarasi. "Denn die Mikroarchitekturen in Asien haben den Nebeneffekt, dass die Menschen einige Funktionen der Wohnung in die Stadt auslagern. Damit wird die Stadt zum öffentlichen Wohnzimmer für alle, quasi zum Haus, in dem man sich von einem Zimmer ins nächste begibt, wenn man sich nach einer neuen Nutzung sehnt."

Die Stadt als Wohnküche

In Tonosyotyo auf der japanischen Insel Teshima wird sogar das Kochen ausgelagert. Die Shima Kitchen von Architekt Ryo Abe, eine Art Low- Budget-Pavillon aus Zedernholz und Baustahl, ist Treffpunkt für Einheimische und Touristen. Es ist ein Ort der Begegnung von Menschen, die einander sonst vielleicht nie treffen würden. Lebensraum ist in Asien ein dehnbarerer Begriff. Diese Lektion werden wir bald auch in den europäischen Metropolen lernen müssen.

Es sind fürwahr keine leeren Versprechungen, die die beiden Kuratoren Fogarasi und Teckert mit ihrer rund 400.000 Euro teuren Ausstellung machen. Es gibt im Mak viel zu lernen, viel zu entdecken. Doch Eastern Promises ist auch das Versprechen, dass unter Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein in Zukunft ein anderer Wind wehen wird als noch zu Peter Noevers Zeiten.

Von riesigen Rauminstallationen und Eingriffen in den Raum, die Massenpublikum anlocken, hält der ehemalige Leiter des Austrian Cultural Forum in New York nicht viel. Zurückhaltung lautet seine Devise. Und feines Zusammenspinnen kuratorischer Tätigkeit aus Kunst und Architektur. Durch diese Verkopftheit muss man als Besucher durch.  (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 7.6.2013)