Der dritte tote Demonstrant in der Türkei. In Izmir wurden 29 Menschen, die über Twitter Demo-Infos verbreiteten, wegen "Missinformation" verhaftet (Erinnerung: In der Türkei sitzen hunderte Journalisten). Türkische Behörden verbreiten, bei den Demos seien griechische Diplomaten (Griechenland=Erbfeind) festgenommen worden. Also sind "ausländische Kräfte am Werk", soll das heißen, nicht Türken, die nicht konservativ leben wollen.

So viel zur demokratiepolitischen Kultur des EU-Beitrittskandidaten Türkei. Es geht um die Identität der modernen Türkei. Erdogan will, dass alle so leben wie er und seine religiösen Anhänger: kein Alkohol, die Gattin von Kopf bis Fuß eingewickelt, drei Kinder sind Bürgerpflicht. Er sieht sich als großen Veränderer und zweiten "Vater des Vaterlandes" wie Republikgründer Kemal Pascha Atatürk, nur in der entgegengesetzten Richtung. Atatürk verordnete – ebenfalls autoritär – nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches eine radikale Säkularisierung. Noch vor wenigen Tagen erklärte Erdogan bei der Einweihung eines neuen Gebäudes des Osmanischen Archivs, er wolle das große Atatürk-Kulturzentrum am Taksim-Platz abreißen lassen.

Und den Plan, im umkämpften Gezi-Park beim Taksim, wo ein weiteres Einkaufszentrum (mit historisierender osmanischer Fassade) entstehen soll, eine Moschee zu errichten, habe er nicht aufgegeben. Erdogan: Atatürk im Retourgang. (DER STANDARD, 7.6.2013)