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Datenschützer Georg Markus Kainz: "Alles, was in der Cloud ist, ist auf den Servern von Microsoft, Google et cetera. Und damit können alle Dokumente gelesen, ausgewertet und analysiert werden."

Foto: dapd

Facebook, Google und Co sollen mit dem US-Geheimdienst zusammenarbeiten und Zugriff auf private E-Mails, Fotos, Videos und andere Dokumente gewähren. Die US-Regierung bestätigt, die Firmen dementieren. Die Überwachung soll Berichten zufolge im Rahmen des Programms PRISM zum Schutz vor terroristischen Angriffen stattfinden. Datenschützer Georg Markus Kainz vom Verein Quintessenz ist skeptisch, dass damit tatsächlich Terroristen aufgedeckt werden, und warnt im Interview mit dem WebStandard vor einer immer stärkeren Ausweitung der Überwachung.

derStandard.at: Die US-Regierung hat den Zugriff auf die Server der Unternehmen bestätigt, die Firmen dementieren. Was soll man glauben?

Kainz: Warum sagen die US-amerikanischen Firmen, dass sie davon nichts wissen? Weil sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Im Patriot Act steht, dass Datenauskünfte, die Geheimdienste verlangen, nicht bekanntgegeben werden dürfen. Facebook darf gar nicht sagen, dass sie beauskunftet haben. Nach 9/11 ist mit dem Patriot Act ein Gesetz geschaffen worden, nach dem alle Nichtamerikaner im Grunde überhaupt keine Rechte mehr haben. Das heißt, der US-amerikanische Geheimdienst darf zu Aufklärungssachen ohne normale Gerichtsurteile und ohne dass ein Verdacht bestehen würde beginnen zu recherchieren.

derStandard.at: Kommt das überraschend?

Kainz: Was jetzt bekannt wird, ist, dass die Überwachungsmaßnahmen und die Daten, auf die zugegriffen wird, immer mehr werden. Wir haben auf Behördenseite, dass auf die Fluggastdaten zugegriffen wird. Dass sie auf unsere Telefone zugreifen. Das ist nichts anderes als das, was die Vorratsdatenspeicherung in Österreich für die Österreicher tut. Nur, dass jetzt ein ausländischer Staat auf die Daten der Österreicher zugreift und in Amerika auswertet. Man hat die Tür ein bisschen aufgemacht, und jetzt wird schrittweise immer mehr überwacht. Der letzte Fall, der jetzt kommt, dass sie bei den großen amerikanischen Firmen direkt auf den Servern mitlesen, ist der nächste Einbruch in unsere Privatsphäre.

derStandard.at: Und die Unternehmen?

Kainz: Was Microsoft und die Internet-Konzerne vorantreiben, ist ja, dass die nächste Generation der Software rein Cloud-basierend sein wird. Das heißt, ich speichere nicht bei mir auf der Festplatte, sondern ich speichere in der Cloud. Und alles, was in der Cloud ist, ist auf den Servern von Microsoft, Google et cetera. Und damit können alle Dokumente gelesen, ausgewertet und analysiert werden.

derStandard.at: Wie funktioniert der Zugriff auf die Server der Firmen?

Kainz: Das ist die Frage, wie es geregelt wird. Wir wissen zum Beispiel, dass in Deutschland bei größeren Providern ab 10.000 Kunden eine Blackbox steht. Da steht dann eine Maschine, die mit den Geräten verbunden ist, und über diese Maschine erfolgt der Zugriff.

derStandard.at: Wie werden die Daten analysiert?

Kainz: Wir dürfen nicht glauben, dass das Menschen lesen. Da laufen Programme, die einfach diese Aktivitäten analysieren und versuchen, irgendetwas zu erkennen. Da werden aus irgendwelchen Mustern Rückschlüsse getroffen, ob ein Account oder ein User detaillierter angeschaut wird, weil man verdächtig geworden ist.

derStandard.at: Kann man als EU-Bürger etwas dagegen tun, zum Beispiel nach dem Vorbild der Initiative von Max Schrems, Europe vs. Facebook?

Kainz: Die Aktion von Max Schrems ging gegen eine Privatfirma, damit sich diese Firma an die gültigen europäischen Gesetze hält. Man sieht schon, wie mühselig das war und wie aussichtslos. Auf der anderen Seite geht es hier nicht darum, dass eine Privatfirma etwas macht, sondern darum, dass der amerikanische Staat zugreift. Und der amerikanische Staat nutzt die amerikanischen Firmen, um zuzugreifen. Das ist eine inneramerikanische Geschichte, die Auswirkungen auf uns als europäische Bürger hat. Die einzige Möglichkeit, die uns als Europäern bleibt, ist, dass wir hoffen können, dass die europäischen Regierungen endlich aufwachen und sich für unsere Rechte einsetzen.

derStandard.at: Ist aus aussichtsreich?

Kainz: Wie einseitig die Diskussion läuft, haben wir in den letzten Tage gemerkt, als die Russen plötzlich auf die Fluggastdaten zugreifen wollten. Da kam dann der Aufschrei. Dass wir die Daten an Amerika liefern, war okay. Jetzt kommt ein anderer Staat darauf: Wenn das die Amerikaner bekommen, dann wollen wir das auch haben! Hier geht es wirklich darum, dass Europa erkennt: Wenn wir als souveräne Staaten weiterexistieren wollen, müssen wir unsere Grenzen schützen. Unsere Grenzen sind nicht nur die territorialen Grenzen, die wir auf der Landkarte ziehen, sondern auch die Infrastruktur, dass unser Telefonat, das wir hier führen, nicht von amerikanischen Geheimdiensten interpretiert und ausgewertet werden darf.

derStandard.at: Werden Nutzer jetzt vermehrt von Facebook und Co weggehen, oder wird die Aufregung in ein paar Tagen wieder vergessen sein?

Kainz: Das Problem bei all diesen Überwachungsmaßnahmen ist, dass wir sie nicht spüren. Das ist so ähnlich wie die Videoüberwachung. Es ist ein latentes Bedrohungsszenario, das uns nicht wirklich direkt trifft, weil wir es nicht sehen und nicht spüren. Das wird bei Otto Normalverbraucher nicht wirklich Konsequenzen haben. Der eine oder andere wird sicherlich beginnen aufzupassen, dass er gewisse Sachen nicht mehr in Foren oder auf Facebook postet. Aber die Konsequenz wird nicht nachhaltig sein.

derStandard.at: Und bei der Verbrechensbekämpfung?

Kainz: Das Einzige ist, und das ist das Fatale an dem ganzen Überwachungswahn, der hier aufgebaut wird: Wir wissen von Kriminologen, dass die Verbrecher sehr schnell lernen, wenn es irgendwelche Maßnahmen der Polizei gibt, wie man diese umgehen kann. Die echten Terroristen, die wir mit diesem "War on Terror" suchen, wissen, wie man das umgehen kann. Wir haben schon bei Bin Laden gesehen: Der telefoniert nicht und hat keinen Facebook-Account. Das heißt, der irrsinnige Überwachungsstaat, der hier aufgebaut wird, trifft die unbescholtenen Bürger. Wir merken dann nur, dass der eine oder andere plötzlich nicht mehr in Amerika einreisen kann, weil er irgendetwas getan hat, was komisch interpretiert wurde. Aber auch das wird nicht großartig publiziert. Das sind Einzelschicksale, die keinen Menschen interessieren. Alle diese Maßnahmen schützen uns im Zweifelsfall nicht vor irgendwelchen Terror-Attentaten. (Birgit Riegler, derStandard.at, 7.6.2013)