Besonders dicht sind die 6500 Inseln des Vega-Archipels nicht besiedelt.

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Und dennoch leben hier die meisten Eiderenten in einer WG.

Um ein Uhr nachts küsst die Sonne den Horizont; der Himmel errötet dabei. Wie zum Applaus klatschen die Wellen an die vorgelagerten Inselchen, die als Silhouetten aus dem Meer ragen. Nur die Heringsmöwen und die Kormorane streiten sich jetzt lautstark ums beste Nachtlager. Sie müssen sich beeilen, denn schon in zwanzig Minuten geht die Sonne ein Stück weiter östlich wieder auf. Richtig dunkel wird es in diesen Tagen nie. Es ist bald Mittsommer in Helgeland in Nordnorwegen.

Der Vega-Archipel südlich des Polarkreises ist ein Paradies für Ornithologen und Naturliebhaber. Die Landschaft wirkt grüner und lieblicher als auf den Lofoten, die gut zwei Tagesreisen mit dem Schiff weiter nördlich liegen. Vor der Küste der Hauptinsel Vega erstreckt sich ein Mosaik aus 6500 weiteren Schären, die seit 2004 zum Unesco-Welterbe gehören. Die meisten sind unbewohnt, dort gibt es keine Wege und keine Häuser. Doch das "Jedermannsrecht" erlaubt es, fast überall zu zelten. Mit Respektabstand, versteht sich, denn auf dem Lovund-Felsen nisten Papageientaucher und weiter draußen die größte Kormoran-Kolonie der Welt. Die echten Stars des Archipels sind aber zweifelsfrei die Eiderenten.

Auf der Insel Lånan sitzen die Frauen ab Mai gespannt vor der Haustür und warten darauf, dass Eli, Kerstin oder Mette Marit aus dem Meer kommen und zur Wohnungsbesichtigung an Land watscheln. Manche Enten lieben die WG im großen Holzhaus, andere brüten lieber für sich, wie Sarah. Sie hat den Spitznamen "die Ärgerliche", weil sie oft schimpft und ganz allein unter einem Verschlag aus Steinen wohnt. Stammgäste auf Lånan bekommen ein Nest mit Namensschild.

Die Daunenlady baut das Nest

"Sie sind wie Kinder. Jede Ente hat ihren individuellen Charakter", sagt Hildegunn Nordum. Die schlanke Frau mit kurzen, schneeweißen Haaren ist eine der sogenannten Daunenladys. Sie lebt das halbe Jahr auf der Insel und baut überdachte Nester mit einer Liegefläche aus getrocknetem Seegras, manche sehen aus wie kleine Häuser. Während der Brutzeit rupfen sich die Enten die feinen Brustfedern aus und wärmen damit ihre Eier. Hildegunn tut alles, um sie zu schützen, verscheucht Krähen, Seeadler oder Otter, die es auf die Eier abgesehen haben. Zerspringt ein Ei, legt sie eine Glaskugel ins Nest, damit die Mutter es nicht merkt und weiterbrütet.

Erst wenn die Küken das Nest verlassen haben, erntet sie den Flaum, reinigt ihn und fertigt daraus die wohl wärmsten Tuchenten, die es zu kaufen gibt. Alles in Handarbeit, so wie es ihre Familie seit vier Generationen macht. Hier hat jede der Frauen eine besondere Beziehung zu " ihren" Entendamen. Denn schon Mitte des 19. Jahrhunderts bauten sie Nester für die wertvollen Vögel, die als heilig galten, und verdienten damit oft mehr Geld als ihre Männer, die zum Fischen aufs Meer ruderten. Heute wird die Tradition noch auf acht Inseln gepflegt.

Flotte Hechte fangen

Sverre Nilsen verdient sich etwas dazu, indem er Touristen Kutterfahrten anbietet, die hier fischen wollen. Die Tour startet im Bilderbuchhafen von Nes, wo rote Häuschen in der Sonne leuchten.

Der Motor quirlt in der Gischt, dann tuckert das Schiff los, vorbei an unzähligen Schären. "Dort bin ich im Internat gewesen", sagt Sverre und zeigt auf eine Insel mit einem einzigen weißen Haus. Erst weiter draußen verteilt er die Angeln und erklärt die Technik, die er selbst perfekt beherrscht: Wie am Fließband zieht er nun auch Seehechte aus dem Wasser.

Seine 62 Jahre sieht man Sverre nicht an. Er wurde bereits auf Lånan geboren und schläft jede Nacht unter der Eiderdaunen-Tuchent, die er von seiner Großmutter geerbt hat. "Nicht jeder hat so eine", sagt er stolz. Heute kostet eine derartige Decke über fünftausend Euro, dafür hält sie mehrere Menschenleben lang.

Zurück im Hafen, erfährt man die Gründe für den hohen Preis: Hildegunn sitzt noch immer vor ihrer sogenannten Daunenharfe, deren Saiten sie mit einem Holzknüttel streicht. "Durch die Vibration fallen Reste von Seetang und Eierschalen heraus", erklärt sie. Die Arbeit an einem einzigen Federbett dauert mehrere Wochen, weil es Flaum aus rund 60 Nestern enthält. Und dann braucht es dafür auch noch jede Menge Geduld, denn jedes Jahr lassen die prätentiösen Entendamen nur Federn für sieben bis acht Füllungen. (Monika Hippe, DER STANDARD, Album, 8.6.2013)