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Etwa 3000 Menschen, auch Eltern mit ihren Babys, hinderten die bosnischen Parlamentarier daran, das Parlament zu verlassen.

Foto: AP

Sarajevo - Sie zogen mit ihren Babys in Kinderwägen vor das Parlament. " Gib nicht auf, Sarajevo!" und "Wir sind alle Belmina!" stand auf den Schildern der Demonstranten. Im sonst so apathischen Sarajevo mucken die Bürger auf. In den vergangenen Tagen kam es gar zu einer Art " Geiselnahme" von 1500 Parlamentsangehörigen und etwa 250 Ausländern, die sich im Parlamentsgebäude befanden.

Die Demonstranten blockierten für zwölf Stunden die Ausgänge und forderten, dass zuerst ein neues Gesetz beschlossen werden müsse, bevor sie die Abgeordneten hinauslassen würden. Um halb vier Uhr früh am Freitag holte die Polizei dann 800 Parlamentsangehörige und etwa 250 Banker des Europäischen Fonds für Südosteuropa, die zu einem Notenbanker-Treffen in Sarajevo waren, aus dem Parlament.

Neugeborene ohne Nummer

Doch die Proteste gehen weiter. Der Hintergrund: Seit der Verfassungsgerichtshof das Gesetz für Identifikationsnummern, die jeder bosnische Bürger bekommt, im Februar aufgehoben hat, haben Neugeborene keine solche Nummer mehr erhalten. Ohne diese kann aber kein Reisepass ausgestellt werden. Und das ist im Fall der vier Monate alten Belmina Ibrisevic lebensgefährlich. Denn Belmina ist schwerkrank und muss nach Deutschland zu einer Stammzellentransplantation ausgeflogen werden. Um das Kind zu retten, wurde der Protest also über Facebook organisiert. Den Familien und Studenten, die am Freitag neuerlich mehr Verantwortlichkeit der Politik einforderten, geht es nicht nur um das Nummerngesetz, sondern um ihren Staat. "Wir wollen keine Entität, wir wollen Identität", schrieben sie auf ihre Schilder.

Der bosnische Staat hat seit Kriegsende zwei Landesteile (Entitäten), die Verfassung sieht viele Blockade- und Vetomöglichkeiten vor, die von nationalistischen Politikern genutzt werden. Im Fall der Identifikationsnummern einigten sich die Politiker nicht über Bezirksgrenzen und Dorfnamen.

Blockadepolitik

Der Hohe Beauftragte Valentin Inzko sorgte für eine Übergangslösung, doch das beendet noch nicht die Blockadepolitik, deren Auswirkungen nun auch die eingesperrten ausländischen Banker zu spüren bekamen, die ihre Botschaften um Hilfe baten, weil sie ohne Nahrung und Wasser geblieben waren. In einem instabilen Land solle man "niemals ohne Sandwich" zu Sitzungen gehen, twittere einer. Zentralbank-Gouverneur Kemal Kozaric schämte sich als Gastgeber und sprach von einem irreparablen Schaden.

Solidarität mit den Anliegen der Baby-Revolutionäre zeigten hingegen Demonstranten in Zenica, Mostar und Belgrad. "Babys sind Opfer der Politik. Schämt euch!", titelte die Zeitung Oslobodjene. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 8./9.6.2013)