Ein französischer Fäkalausdruck zur Begrüßung: Albert Oehlens "English Courses" (2008).

Foto: Bruchhausen

Wien - Leinwandbilder, die so unmittelbar zur Interaktion einladen, gibt es selten. Albert Oehlens Spiegelbilder aus den 1980er Jahren, Raumdarstellungen, in die er echte Spiegel integriert hat, gehören auf alle Fälle dazu. Vorsichtig trippelnd nähert man sich dem reflektierenden Feld, zoomt sich quasi wie mit der Kamera durch Vorrücken und Zurückweichen maßstabsgetreu in den Bildausschnitt hinein. Ein simples, aber effektvolles Auflösen von Bildgrenzen. Ob man sich allerdings in den in Schwarz- und Brauntönen gehaltenen, kellerartigen Verliesen Oehlens auch noch wohl fühlt, ist eine andere Frage.

Albert Oehlens Malerei ist eine stete und radikale Frage nach deren Existenzberechtigung, sagt Mumok-Direktorin Karola Kraus über die Kunst des 1954 Geborenen. Die Idee, dem deutschen Maler eine Personale auszurichten, erlaubte sie, um über jeden Zweifel erhaben zu sein, nur unter einer Bedingung: kein Werk aus der Sammlung ihrer Familie, den Grässlins, darf gezeigt werden.

In dem "bisher größten Überblick", so der bald zum Museum Brandhorst wechselnde Kurator Achim Hochdörfer, werden Werke von den frühen 1980er- Jahren bis in die Gegenwart gezeigt; die Chronologie wird jedoch zugunsten von konfrontativen Dialogen der Werkgruppen aufgelöst.

Dass Malerei tot sei, hat Oehlen nie akzeptiert, wohl aber deren Krise. Während sich andere Künstler jedoch in Richtung Konzeptkunst abwandten, arbeitete er die Kritik am Tafelbild direkt auf der Leinwand ab. "Den Feind ins Bild holen", nennt Hochdörder diese Krisenbewältigung etwa in Bezug auf das Einverleiben computergenerierter Kompositionen. Oehlens Bild Hey mercy (1983) könnte man als frühes, symptomatisches Gnadengesuch lesen, übersetzt er doch Duchamps kinetisches Ready-Made Fahrrad-Rad, mit dem dieser 1913 die Erhabenheit der Idee proklamiert hatte, wieder in reine Malerei.

Dennoch hat er das Geviert der Malerei bisweilen verlassen (nicht nur für musikalische Ausflüge). In einer Installation rekonstruiert Oehlen das eigene "Jugendzimmer": Der Künstler liegt als Leinwand unter einer Bettwäsche, die jedes Malerleben prägen würde.

Oehlens Konsequenz hatte aber stets anarchistische Züge, mutete er der Leinwand doch nicht nur banalste Motive, sondern auch politische Unkorrektheiten zu. Er schimpfte und malte mit Martin Kippenberger, richtete mit Werner Büttner und Georg Herold eine Samenbank für DDR- Flüchtlinge ein. Später entwickelte er den Begriff der " postungegenständlichen" Malerei, wegen der unnötigen Debatte um Figuration und Abstraktion. In seiner Malerei geht es eher um formale Probleme. Und um Emotion - im Sinne von Effekt erzielen. Daran, Aussagen treffen zu können, glaubt er nicht.

Auch bei den Werbeplakaten, die in seinen jüngeren Arbeiten dicht collagiert Platz finden, interessiere ihn Form und Farbe. Das entspricht auch Oehlens Kokettieren mit der heiteren Direktheit der Pop Art. Aber nicht nur das: Als Teenager tapezierte Oehlen sein Zimmer mit Supermarkt-Werbungen - "unveredelter Trash"zur Angehörigen-Provokation.

Emotion? Effekt? Form? Oder doch Aussage? fragt man sich beim Blick auf FM3, einem jüngeren Werk (2008), auf dem ein paar Scheiben Kalbsleber prangen: 4,99 das Kilo. In etwa da, wo sich die Leber befindet, hat der Künstler auch die Fleischerwerbung geklebt: in die Mitte des Bildes - wo bei Oehlen meist das Gewicht liegt - und damit auch in die Leibesmitte des darum herumgemalten Tieres. Es ist kein Kälbchen, sondern eher ein zorniger Zähnefletscher mit spitzen Ohren, an dessen Leber mehr dran ist als an seinen knochigen Haxen. Leber und Zorn - für die Chinesen hängt das eng zusammen.   (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 8./9.6.2013)