Bild nicht mehr verfügbar.

In unseren Breitengraden sorgt unter anderem die Kreuzspinne für Phobien.

Foto: APA/Patrick Pleul

Ein Gedankenexperiment: Man liegt auf einer Wiese, Bienen summen, die Sonne scheint. Plötzlich spürt man ein Kitzeln am Bein. Es gibt nun drei Arten von Reaktionen: neugierige Gelassenheit, Ekel oder blankes Entsetzen. Wer Letzteres empfindet, leidet vermutlich unter einer Phobie. "Tierphobien sind sehr häufig", erklärt die am Landeskrankenhaus Tulln tätige Psychologin Astrid Herbst. Insgesamt treten derart spezifische Angststörungen bei 7,2 bis 11,3 Prozent der Menschen in westlichen Gesellschaften zumindest einmal im Leben auf. Grundsätzlich kann alles als Angstobjekt infrage kommen, sogar Kaninchen.

Angst vor Spinnen (Arachnophobie), Insekten (Entomophobie) oder Insektenstichen (Acarophobie) betrifft gerade in unseren Gefilden viele Menschen. Über die Entstehungsmechanismen gibt es unterschiedliche Theorien. Jeder Patient müsse diesbezüglich einzeln betrachtet werden, sagt Herbst. "Meist gibt es mehrere Ursachen", zum einen ist es vermutlich die urzeitliche Prägung des Gehirns, eine erhöhte Angstbereitschaft gegenüber potenziellen Gefahren, die von giftigen Spinnen ausgehen können - "ein phylogenetisches Erbe", so Herbst.

Ausschlaggebend dürfte aber auch das völlig andere Körperschema der Krabbeltiere sein - im Vergleich zum Homo sapiens, versteht sich. Es gibt kein klar erkennbares Gesicht, und sogar die Bewegungsrichtung ist mitunter schwer vorherzusagen. Deshalb sei es schwer, zu solchen Wesen so etwas wie eine Vertrauensbasis zu entwickeln, erklärt Herbst.

Ungebetene Gäste

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die völlige Ignoranz von Spinnen und Insekten gegenüber persönlichen Grenzen. Die Tiere wuseln in unseren Wohnungen und dicht an unseren Körpern herum. Herbst: "Sie kommen in Bereiche, in die wir sie nie eingeladen haben." Befremden, Erschrecken und ein Gefühl der Machtlosigkeit sind die Folgen. Allerdings ohne Realitätsbezug. Die Spinne will gewiss nicht bewusst zum Betroffenen ins Bett krabbeln.

Auch erlerntes Verhalten spielt eine Rolle. Wer als Kind mit ansehen musste, wie Kleingetier immer wieder die eigene Mutter in Panik versetzte, wird selbst auch eher zu solch irrationalem Verhalten neigen. Vielleicht ist dies auch einer der Gründe dafür, dass bei Tierphobien 75 bis 90 Prozent der Patienten weiblich sind.

Traumatische Erlebnisse können ebenfalls entscheidend zur Entstehung von Phobien beitragen. Oft stehen die objektgebundenen Ängste dabei stellvertretend für tiefere psychische Probleme. "Das Spannende an der Phobie ist, dass es nicht nur zu einer Verdrängung, sondern auch zu einer Verschiebung kommt", erklärt Gertrude Maderthaner, klinische Psychologin in Wien. Die Störung fokussiere sich auf ein relativ harmloses und unbedeutendes Objekt, als Abwehr einer anderen, unbewussten Angst oder verborgener Wünsche. "Es ist eine misslungene Kompromisslösung", sagt Maderthaner. Das eigentliche Problem wird nicht bewältigt, aber immerhin das Funktionieren der betroffenen Person im Alltag.

Erfreulicherweise lassen sich Ängste sehr erfolgreich therapieren. Allerdings nur, wenn die Behandlung spezifisch auf den Patienten zugeschnitten ist, betonen Maderthaner wie auch Herbst. Verhaltenstherapeutische Strategien wie Entspannungstechniken und kognitive Methoden können eine starke Symptomreduktion bewirken. Kein blankes Entsetzen mehr, manchmal verschwindet die Angst sogar ganz. So bietet Herbst spezielle "Spinnenworkshops" an. Zentral in der therapeutischen Arbeit mit dem Patienten ist für Herbst jedoch, die individuellen Auslöser der Phobien zu finden und zu bearbeiten.

Studie zu Therapie

Ein interessanter Ansatz zur Symptombekämpfung wird indes von Alexandra Wagener an der Wichita State University im US-Bundesstaat Kansas getestet. Die Psychologin hat Studenten mit einer mittelschweren Angst vor Spinnen in drei Gruppen unterteilt und diese zunächst entweder über eine kontrollbasierte, eine akzeptanzbasierte oder eine informationsbasierte Behandlung vorbereitet. Anschließend wurden die Teilnehmer aufgefordert, eine ihrer Hände in ein undurchsichtiges Glas zu stecken, in dem mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit eine Spinne sein konnte. Wer als Proband zuvor erklärt bekommen hatte, wie er seine Ängste annehmen und akzeptieren konnte, zeigte sich mutiger als die Personen aus den beiden anderen Gruppen (vgl.: The Psychological Record, Bd. 61, S. 77). "Sie fühlten sich nicht auch noch schlecht darüber, dass sie sich schlecht fühlten", erklärt Wagener. "Es ist in Ordnung, sich unwohl zu fühlen", so Wagener. Die Akzeptanz der eigenen Emotionen macht offenbar stärker. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 10.6.2013)