Istanbul – Wenn Kleinkinder unfreiwillig auf den Zehen gehen, kann es sich um eine Gangstörung, den idiopathischen (unbekannter Ursache, Anm.Red.) Zehengang, handeln. Vergeht die Störung nicht von selbst oder mit Hilfe physiotherapeutischer Maßnahmen, könnten Botox-Injektionen Besserung bringen. Das legt eine auf dem EFORT Kongress in Istanbul präsentierte Studie nahe.

In die Pilotstudie wurden neun Kinder mit einem mittleren Alter von 7,6 Jahren und idiopathischem Zehenspitzengang, der auf andere Therapieversuche nicht angesprochen hatte, eingeschlossen. Kinder mit neurologischen Störungen waren ausgeschlossen. Die Patienten erhielten Injektionen von Botulinomtoxin A in die Wadenmuskulatur und zur Unterstützung der medikamentösen Therapie Knöchel-Fuß-Orthesen sowie ein Programm von Dehnungsübungen. Jeweils ein und drei Monate nach den Injektionen wurden die Ergebnisse evaluiert. Nach drei Monaten hatte sich bei den Kindern der Gang signifikant verbessert.

Vielfältige Ursachen

"Mit fünf Jahren zeigen etwas mehr als zwei Prozent der neurologisch sonst unauffälligen Kinder einen Zehengang", sagte Studienautorin Isabella Fusaro, vom Istituto Ortopedico Rizzoli in Bologna. Der Zehengang bleibt nicht ohne Folgen. Fehlentwicklungen des Fußes, Rückenschmerzen, Probleme mit der Wirbelsäule und psychologische Schwierigkeiten drohen.

Vor der Therapie kommt die gründliche Diagnostik. Wenn Kinder beim Gehen vermehrt den Vorfuß belasten oder sogar auf Zehenspitzen gehen, kann das nämlich unterschiedliche Gründe haben. Hinter der Ganganomalie können sich neurologische Erkrankungen verbergen, oder es kann idiopathisch, also ohne erkennbare Ursache auftreten, wobei eine deutliche genetische Komponente beobachtet wird.

Schwere psychiatrische Störungen, zerebrale Erkrankungen, orthopädische Ursachen, sowie neuromuskuläre und neurodegenerative Erkrankungen müssen im Rahmen der Diagnose zunächst ausgeschlossen werden. Selbst beim idiopathischen Zehenspitzengang können diagnostisch noch mehrere Typen unterschieden werden. Bei vielen Betroffenen gibt sich das Problem innerhalb relativ kurzer Zeit von selbst, bei anderen jedoch nicht.

In der Therapie gibt es viele verschiedene Ansätze und relativ wenig Evidenz. Fusaro: "Die Behandlung hängt vom Alter und der Ausprägung der Gangstörung ab. Versucht werden unter anderem Physiotherapie, Gipsen, verschiedene orthopädische Schuhe und Einlagen oder in schweren Fällen die chirurgische Verlängerung der Achillessehne beziehungsweise der Wadenmuskulatur."

Vorübergehende Chemodenervation

Chirurgische Interventionen sollten freilich nur einen letzten Ausweg darstellen. Eine mögliche Alternative ist die vorübergehende Chemodenervation der Wadenmuskulatur mittels Botulinum-Toxin. Diese führt zu einer erzwungenen Entspannung des Gastrocnemius- und des Soleus-Muskels und damit zu einer Verbesserung des Gangbildes. So die Theorie, die bislang aber nur in Fallberichten, kaum jedoch in klinischen Studien bestätigt wurde.

Die aktuelle Arbeit liefert nun zusätzliche Evidenz für die Behandlung mit Botulinum-Toxin. "Damit haben wir jetzt erstmals Studiendaten zum Einsatz von Botox beim idiopathischen Zehengang. Es war allerdings nur eine kleine und nicht kontrollierte Studie. Auf Basis der Ergebnisse planen wir nun eine randomisierte, kontrollierte Studie, bei der die Kontrollgruppe nur mit einer Orthese und Gymnastik behandelt wird," so Fusaro. (red, derStandard.at, 10.6.2013)