Barcelona - Morbus Parkinson ist im fortgeschrittenen Stadium oft von Demenz oder Depression begleitet, aber auch von Symptomen wie Obstipation, exzessivem Transpiration oder Harninkontinenz. Mediziner dürfen diese nicht übersehen und entsprechend mitbehandeln, fordern Experten auf dem Kongress der Europäischen Neurologengesellschaft in Barcelona: Denn diese Begleitkrankheiten sind manchmal belastender als Parkinson selbst, andererseits stehen teilweise gute Therapien zur Verfügung.

"Mehr als ein Drittel der Parkinson-Betroffenen leiden unter Demenz", berichtet Heinz Reichmann, vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, Past-President der ENS, beim 23. Meeting der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) in Barcelona.

Seiner Untersuchung an 1.331 deutschen Parkinson-Patienten zufolge leiden rund 15 Prozent davon zusätzlich unter Demenz, elf Prozent unter Demenz und Depression und neun Prozent unter Demenz und einer Psychose. Befragungen unter den Betroffenen zeigen: Der kognitive Verfall und die Depression verschlechtern die Lebensqualität oft mehr als die Bewegungsstörung selbst und hemmen zudem den Therapiefortschritt. Das gilt auf weiten Strecken auch für andere Parkinson-Begleitsymptome wie Verstopfung, die bei 45 Prozent aller Parkinson-Patienten auftritt, Riechverlust (90 Prozent), Diplopie (zehn Prozent), oder Harninkontinenz (50 Prozent).

Neue Medikamente

Die Demenz bei Parkinson ist nach jüngsten Forschungen einerseits auf Zytoplasma-Einschlüsse der Nervenzellen  zurückzuführen, die nicht nur wie sonst bei Parkinson in der Substantia nigra, sondern unter anderem auch im Hirnstamm und in der Großhirnrinde zu finden sind. Andererseits geht bei diesen Patienten auch im Nucleus basalis des Zentralnervensystems ein Großteil jener Nervenzellen verloren, die auf den Neurotransmitter Acetylcholin reagieren.

"Mehrere gut durchgeführte Studien untersuchen gerade die Wirksamkeit von Cholinesterasehemmern bei Parkinsondemenz. Eine kürzlich publizierte Studie hat etwa bewiesen, dass Donepezil eine gewisse Wirkung zeigt, während Memantin kaum signifikante Vorteile bringt," sagt Reichmann

Breite Palette

Begleitende Depressionen werden vor allem durch den Abbau jener Systeme ausgelöst, die die Monoamine-Neurotransmitter freisetzen, sowie durch Fehlfunktion des Stirnlappens und der Gehirnrinde. Forschungen aus der Neuropathologie zeigen einen Verlust von Neuronen im Nucleus coeruleus, bei manchen Patienten auch in den Raphe-Kernen – womit die Depression eindeutig nicht nur Folge reaktiven Verhaltens ist.

Zudem unterscheidet sich Depression bei Parkinson deutlich von anderen Formen: Sie macht sich hier bei jedem dritten Betroffenen vor den motorischen Symptomen der Krankheit bemerkbar, etwa durch Verlust von Unternehmergeist und Selbstwertgefühl oder andere Frühsymptome. Später sind Panikattacken und Ängste häufig, wobei die Stimmungsschwankungen nur schwach mit dem Schweregrad der motorischen Beeinträchtigung korrelieren.

In der Behandlung dieser Depressions-Variante haben sich bisher psychosoziale Unterstützung, die Verhaltenstherapie, die Psychotherapie, die medikamentöse Therapie sowie auch die Elektrokrampftherapie bewährt. Wie Reichmann darlegt, lohne sich jedoch auch die Überlegung, ob Depression mit D3-Dopamin-Agonisten positiv beeinflusst werden könne: "Schließlich verwenden jene Schleifen, die die Basalganglien zu den frontalen Regionen verbinden, D3-dopaminerge Rezeptoren", so der ENS Past-President. Die Studienlage dazu ist allerdings noch dünn: Erst drei randomisierte Kontrollstudien widmen sich jenen Dopaminagonisten, die D3-Rezeptoren ansprechen.

Ausgleich des Dopaminspiegels

Motorische Beeinträchtigungen als Parkinson-Nebeneffekte hängen oft mit falscher Konzentration von Dopamin im Blutplasma zusammen, weshalb das Augenmerk hier auf kontinuierlichem Dopaminersatz liegen sollte, erklärte Reichmann. Das gilt bereits für die Verstopfung, die durchaus beschwerlich für die Patienten und zudem schädlich für die Wirksamkeit der Therapie werden kann: "Blockierte Darmtätigkeit lässt den Körper die oral verabreichten Parkinson-Mittel verzögert oder gar nicht aufnehmen", so der Experte.

Wirksam gegen das bei Behandlungsstart übliche Nachlassen der Wirkung ist eine Dreifach-Therapie, die Levodopa, Carbidopa und Entacapon kombiniert. Doch empfehlen jüngste Studien, zusätzlich zur laufenden Levodopa-Therapie auch einen MAO-B-Hemmer oder einen langwirkenden Dopaminagonisten zu verabreichen. "Das reduziert Nebenwirkungen und erlaubt gute motorische Kontrolle", betont der Experte. In noch späterem Krankheitsstadium mit abwechselnden Phasen guter Beweglichkeit und völliger Starre ("On-Off-Phänomen") ist hingegen eine aufwändigere Behandlung erforderlich.

Tiefe Hirnstimulation und Pumpen

Für Störungen der Bewegungsabläufe (Dyskinesie, Anm. Red.), die manche Patienten infolge der Einnahme von Levodopa entwickeln, hat sich die Tiefe Hirnstimulation bewährt. Meist sind hier die Ergebnisse laut Reichmann "äußerst zufriedenstellend" und erste Studien dazu würden auch auf gute langfristige Prognose deuten, obgleich die Patienten im Lauf der Zeit immer mehr und zusätzliche Medikamente benötigen.

Nicht anwenden darf man die Tiefe Hirnstimulation bei schweren Blutgefäß-Erkrankungen im Gehirn sowie bei Depression, Demenz oder Gerinnungsstörungen. Hier sind Pumpen eine Alternative – etwa Duodopa, bei der eine Carbidopa/Levodopa-Mischung über einen kleinen, implantierten Schlauch zu programmierbaren Zeiten direkt in den Dünndarm eingeführt wird, oder auch jene mit dem Dopamin-Agonisten Apomorphin, der mit einer unter die Haut gesetzten Nadel kontinuierlich in die Blutbahn abgegeben wird. Beide Systeme verbessern auch die Motorik deutlich und sorgen für beständigeren Dopaminersatz. (red, derStandard.at, 10.6.2013)