Liebes Gesundheitssystem, wir müssen reden. Ich habe eine Entscheidung getroffen - so kann es nicht weitergehen mit uns. Wir haben uns auseinandergelebt - ich weiß, am Anfang war alles spannend und neu, wie wir während des Zivildiensts mit Blaulicht und Folgetonhorn zu den Patienten gefahren sind. Ich hatte noch das Gefühl, dass wir zusammen wirklich etwas verändern können. Deswegen habe ich ja beschlossen, mich langfristig an dich zu binden und angefangen Medizin zu studieren.
Viele haben mich davor gewarnt, mich mit dir einzulassen. Sie haben gesagt, du wärst ganz grauenvoll und man soll sich von dir fernhalten, aber ich habe das nicht ernstgenommen. Ich war jung und naiv, und anfangs war es auch noch eine schöne Zeit. Du hast mir viele aufregende und spannende Geräte sowie Techniken gezeigt und von Dingen erzählt, von denen ich noch nie vorher gehört hatte.
Aber es war auch eine sehr intensive Zeit. Nach drei Jahren braucht man manchmal auch eine Pause und ich muss dir gestehen, ich habe in meinem Auslandsjahr in Zentralamerika auch andere kennengelernt. Sie waren nicht besser oder toller als du, aber exotisch und neu. Irgendwie aufregend. Als ich dann zurückkehrte, war ich froh wieder bei dir zu sein, denn du gibst mir Sicherheit. Doch diese Zeit hat mir auch die Augen geöffnet.
Denn was wir tun ist selten von Dauer. Adrenalin und teures Spielzeug hat nur eine kurze Bedeutung, aber es bleibt immer das Gefühl, dass etwas fehlt. Du hast mir eine Seite von dir nicht gezeigt, die ich auch gerne kennengelernt hätte. Die Seite, die sich für das große Ganze interessiert. Die nicht auf schnelle Effekte, sondern auf langfristige Verbesserung abzielt. Die nicht das macht was möglich ist, sondern das was sinnvoll ist. Manchmal hat man das Gefühl, du selbst möchtest diese Seite von dir gar nicht wahrhaben und verleugnest sie - bekämpfst sie geradezu.
Lange habe ich versucht, dich davon zu überzeugen, dass es eine gute Seite ist, eine wichtige Seite! Dass es eigentlich erst das ist, was dich wirklich zu einem Gesundheitssystem werden lässt. Viele andere haben dir das selbe gesagt, und du hast immer genickt und gesagt "Ja, eh". Sie haben dir auch gesagt, dass du viele der jungen Leute verlieren wirst, wenn du so weitermachst, wie bisher. Aber du wolltest lange nicht hören. Nun hast du gesagt du machst eine Therapie. Du hast begonnen dir große Ziele zu setzen und hast beteuert, dass du dich ändern wirst und ich habe dir wider besseren Wissens sogar geglaubt.
Jetzt hast du aber aus heiterem Himmel beschlossen, mir deine beste Seite ein für alle Mal vorzuenthalten. Du willst nicht, dass ich ein guter Hausarzt werde und meinst, ich solle doch selbst schauen wo ich bleibe, du wirst mich nicht unterstützen. Ich kann das nicht akzeptieren, aber ich schaffe es wohl auch nicht dich umzustimmen.
Deswegen gebe ich dir noch eine letzte Chance. Ich fahre nun nach Dänemark und werde dort das letzte Jahr meines Studiums absolvieren. Sollte deine Entscheidung wirklich endgültig sein und sich nicht geändert haben, werde ich nicht zurückkommen. Dann hast du einen weiteren deiner Unterstützer erfolgreich vertrieben.
Es täte mir im Herzen weh, wegen dir meine Heimat verlassen zu müssen und ich bitte dich inständig, dir die Turnusreform nochmal zu überlegen. Ich will doch nur das Beste für dich, für mich - für uns! Ansonsten war es das mit uns.
Ich wünsche dir alles Gute für deine - und vielleicht doch noch "unsere" - Zukunft.
Dein Sebastian (Leserkommentar, Sebastian Huter, derStandard.at, 10.6.2013)