Das niederösterreichische Schloss Wolfpassing ist eine ansehnliche Immobilie, trägt aber ein Geheimnis.

Foto: © Bwag / Wikimedia

Seit 1939 schlägt im Inneren des Schlosses, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, eine "Führerglocke".

Foto: privat

Wolfpassing/Wien - Die Botschaft auf der Glocke ist eindeutig: "Am 13.3.1938 befreite der Einiger und Führer aller Deutschen Adolf Hitler die Ostmark vom Joche volksfremder Bedrückung und führte sie heim ins Großdeutsche Reich."

Seit 1939 bimmelt ebendiese Turmglocke, völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit, in einem Turm im Schloss Wolfpassing, einem kleinen Ort nahe Wieselburg im niederösterreichischen Mostviertel - und das wäre wohl auch noch lange so geblieben, hätte nicht der Regionalhistoriker und pensionierte Lehrer Johannes Kammerstätter die Geschichte der Juden im Mostviertel in seiner Buch-Trilogie "Tragbares Vaterland" aufgearbeitet.

Glocke war ursprünglich für Dollfuß

Bei seiner Recherche stolperte er über die Geschichte der sogenannten Führerglocke, die ursprünglich einen ganz anderen Zweck hatte: 1935 hatten die Dorfbewohner dem "unvergesslichen Heldenkanzler" (so lautete die Inschrift) Engelbert Dollfuß eine Glocke gestiftet. Dollfuß, der aus dem nahegelegenen Texing stammte, war häufig Gast in Wolfpassing gewesen. 1939 wurde die Glocke eingeschmolzen und in der Glockengießerei Pfundtner in Wien zu einer "Führerglocke" umgemodelt, wie Kammerstätter herausgefunden hat.

Heute erinnert eine Gedenktafel auf dem Schlossgelände an Dollfuß, zudem gibt es eine Stele zur Erinnerung an den Gründungsdirektor der in Wolfpassing beherbergten "Milchwirtschaftlichen Anstalt", Anton List, der vom NS-Regime verfolgt worden war. In der Schlosschronik, so hat Kammerstätter herausgefunden, ist wieder die längst eingeschmolzene Dollfuß-Glocke abgebildet.

Rätselraten um Käufer

Bisher stand das Schloss im Besitz der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Jahrzehntelang beherbergte es die milchwirtschaftliche Anstalt, dann ein Internat einer nahegelegenen höheren Schule, zudem war die Aula des Schlosses ein gut gebuchter Veranstaltungsort - jetzt hat die BIG aber keine Verwendung mehr dafür.

Nach längerer Suche fand sich im März dieses Jahres ein Käufer für das Schloss, das mitten im Ortskern steht. Dieser Käufer möchte bis zum 1. Juli ungenannt bleiben, ansonsten, so heißt es bei der BIG, trete er von seinem Kaufvertrag zurück; in der Region führt das zu wilden Mutmaßungen, vom russischen Großinvestor bis zum Bordellbetreiber wird allerhand spekuliert. Nichts davon sei wahr, beruhigt die BIG.

Historiker will Glockenverkauf verhindern

Für Historiker Kammerstätter bedeutet der Verkauf vor allem eines: "Es muss alles dafür getan werden, dass die Glocke nicht in private Hände gelangt." Eine "politische Entscheidung" müsse her. Willy Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen-Komitees, bezweifelt nicht, dass sich für ein derartiges Nazi-Objekt ein Käufer finden würde, erste Adresse dafür seien die USA. Rechtswidrig sei ein solcher Verkauf nicht, die Beteiligten könnten sich wohl im Zweifelsfall auf ihr Interesse an Glocken berufen, meint Mernyi.

Auf Kammerstätters Initiative hin beschäftigt sich nun die BIG mit dem Thema. Es werde geprüft, erfuhr der STANDARD, ob man die Glocke juristisch aus dem Schlossvermögen herauslösen könne. Über den Kaufpreis herrscht im Übrigen ebenso Stillschweigen wie über den neuen Eigentümer, das Areal von 75.000 Quadratmetern mit 8.500 Quadratmetern Nutzfläche war zum Mindestkaufpreis von 1,77 Millionen Euro ausgeschrieben gewesen.

Schule ohne Standort

Der Schlossverkauf zieht übrigens ein zweites, für die Region nicht unerhebliches Problem nach sich: Einen Teil der Räumlichkeiten nutzte zuletzt eine katholische, reformpädagogische Privatschule, ihr wurden zuletzt immer wieder neue Fristen für die Räumung des Schlosses und die Nennung eines möglichen Ersatzquartiers gesetzt. Am Freitag verstrich erneut eine solche Frist, wie Landesschulratspräsident Hermann Helm dem STANDARD am Montag sagte.

Bis 14. Juni muss das Schloss eigentlich geräumt werden, am Dienstag will sich Helm noch einmal mit dem Schuladministrator treffen. Sollte sich weiter keine Lösung finden, steht den etwa 100 Kindern, die derzeit in Wolfpassing den Kindergarten, die Volksschule oder die Neue Mittelschule besuchen, ein Platz in im jeweiligen Schulsprengel zu, versichert der Landesschulratspräsident. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 10.6.2013)