Bild nicht mehr verfügbar.

Am Internationalen Hurentag am 1. Juni wird weltweit für mehr Rechte für SexarbeiterInnen demonstriert. ExpertInnen sehen allerdings eher einen Trend in Richtung Verbot.

Foto: Reuters/GUSTAU NACARINO

"Keine Diskussion ohne die Betroffenen". Einmal mehr forderten dies SexarbeiterInnen-Vereinigungen beim heurigen Internationalen Hurentag am 1. Juni (dieStandard.at berichtete). Verschiedene Vereine forderten die Entkriminalisierung von Prostitution und ein Ende der Diskriminierung von SexarbeiterInnen, und: "SexarbeiterInnen sollten nicht als Subjekte ohne jegliche Selbstbestimmung betrachtet werden."

Diesem jährlichen Ruf nach Liberalisierung zum Zwecke rechtlicher Gleichgestellung von Sexarbeiterinnen stehen zunehmend lauter werdende Forderungen nach einem generellen Prostitutionsverbot gegenüber. Die Liberalisierung führe zu enormer Ausbeutung, zu immer niedrigeren Preisen für Sex und zu Menschenhandel, so die Argumente der GegnerInnen von Sexarbeit. Schweden gilt für diese Position als richtungsweisend, wo bereits 1999 ein Verbot von Sexkauf in Kraft trat. In die entgegengesetzte Richtung bewegte sich hingegen Deutschland 2002 mit einem Prostitutionsgesetz, das SexarbeiterInnen ermöglichte, ihren Lohn einzuklagen und in Pensions-, Kranken und Arbeitslosenkassen einzuzahlen.

Trend in Richtung Verbot

Gab es bei den politischen Positionen zu Verbot und Liberalisierung in der Vergangenheit noch ein Gleichgewicht, so nehmen ExpertInnen aktuell einen Trend in Richtung des schwedischen Modells wahr. Schon 2012 sprach die Politikwissenschaftlern Birgit Sauer (dieStandard.at berichtete) davon, dass sich Interessengruppen wie die "European Women's Lobby" in Brüssel intensiv für eine verbotsorientierte Regulierung einsetzen und sich Europa insgesamt eher auf ein Verbot zubewege.

Diese Einschätzung schien kürzlich eine Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins "Spiegel" mit dem Covertitel "Bordell Deutschland. Wie der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert" zu untermauern. In einem umfangreichen Artikel kamen vorwiegend Stimmen zu Wort, die die Liberalisierung durch das Prostitutionsgesetz von 2002 sehr kritisch sehen. Das "gut gemeinte Gesetz" sehen die zitierten Polizisten, Frauenvereine und Politiker als "Förderprogramm für Zuhälter", das den Zuzug von Frauen vor allem aus Rumänien und Bulgarien "rasant verstärkt" habe. Die Folge sei ein radikaler Preisverfall, der zu Flatrate-Angeboten und somit  menschenunwürdigen Zuständen führte.

In diesem Sinne zweifelt der Artikel auch den von SexarbeiterInnen-Vereinen stets betonten Unterschied zwischen Zwangsprostitution und Frauen, die freiwillig eine sexuelle Dienstleistung anbieten, an. Frauen aus Rumänien und Bulgarien wüssten teilweise zwar, dass sie sich auf Sexarbeit in Deutschland einlassen, so das Magazin, das wahre Ausmaß ihrer Verpflichtungen würden sie aber meist nicht kennen. In Deutschland angekommen, sei es zu spät, sich aus den Zwangsstrukturen zu befreien.

"Behauptung und Ideologie"

Mit Bildern wie diesen schüre der Bericht Vorurteile gegenüber Osteuropäerinnen, kritisiert die Prostituiertenorganisation Doña Carmen - eine der vielen Reaktionen, die den Artikel nach Erscheinen als tendenziös bezeichneten. Neben der Darstellung von osteuropäischen Frauen als naiv kritisierte Doña Carmen auch die Schlussfolgerungen des Artikels auf Basis einer Studie.  

Denn dass die Datenlage der Untersuchung "Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?" problematisch ist, bestreiten selbst die StudienautorInnen nicht (dieStandard.at berichtete). Zwar würde die Studie darauf hindeuten, dass sich durch legalen käuflichen Sex Menschenhandel nicht reduziert, so Studienautor Axel Dreher vom Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass es einen Mangel an verlässlichen und vergleichbaren Daten gibt.

Als "Behauptung und Ideologie" bezeichnet daher Doña Carmen die Darstellungen im Artikel. Etwa, dass die Möglichkeiten der Polizei wie auch die Kooperationsbereitschaft der Frauen beschränkt seien. Dem hält Doña Carmen eine "außergewöhnlich hohe Razzien- und Kontrolldichte im Prostitu­tionsgewerbe“ entgegen sowie den Umstand, dass die Zahlen des deutschen Bundeskriminalamts keine Zunahme des Menschenhandels im Prostitutionsgewerbe seit 2002 ausweisen, sondern sogar eine Abnahme.

Verbotsforderungen in Österreich

Wie Doña Carmen sprechen sich auch österreichische Vereine wie LEFÖ und Sophie - Bildungsraum für Prostituierte gegen ein Verbot von Sexarbeit aus, auch sie sehen den Trend in Richtung Verbot kritisch. Ein solches hieße nur Verdrängung, warnt Eva van Rahden vom Verein Sophie. Nicht der Frauenhandel, sondern lediglich die Sichtbarkeit ginge zurück. Doch eben ein Verbot für Österreich fordert aktuell eine Petition, die allerdings im Unterschied zum "Spiegel" dezidiert feministisch argumentiert. Das "System Prostitution" verwehre Frauen ihr "individuelles Recht, Nein zu sagen", ein Verbot könne der Vorstellung von "Frauen als Waren" entgegenwirken, heißt es in dem Appell des Vereins Feministischer Diskurse, der die Petition "Verbot von Sexkauf" initiiert hat.   

Reaktionen von SexarbeiterInnen auf den Streit Liberalisierung versus Verbot sind indes rar. In Deutschland hat sich jedoch eine jener Sexarbeiterinnen zu Wort gemeldet, von denen der "Spiegel"-Artikel handelt. In ihrem Blog erzählt Carmen von ihren Bedingungen für ein Interview: Sie wolle nicht als Projektionsfläche für sämtliche Klischees von Prostituierten herhalten, würde aber gerne über Prostitutionspolitik und Vorurteile in der öffentlichen Debatte reden. Doch die Zitate, die der Journalist Carmen vor der Veröffentlichung vorlegte, wollten so gar nicht zu der informierten und selbstbestimmten Sexarbeiterin passen: "Ick habe mir jedacht, bevor ich in einer Frittenbude jobbe, mach’ ich lieber dit hier."

Stimmen der Sexarbeiterinnen

Obwohl der Journalist letztlich Carmens Bitte nachkam, sie doch wenigstens auf Hochdeutsch zu zitieren, rettete das ihr Urteil über den Artikel nicht mehr. Da sei nichts von der Diskriminierung von SexarbeiterInnen zu lesen gewesen oder von der Sexworker-Rights-Bewegung, in der sich Carmen engagiert, keine Argumente, kritisiert sie. "Stattdessen leuchtet er mein Dekolleté aus."

Vielleicht ist Carmen als politisch aktive Sexarbeiterin, die ihre Dienstleistung nur für ein Zusatzeinkommen anbietet, nicht gerade eine der repräsentativsten Stimmen. Dennoch zeigen ihre Erlebnisse gut, wie sehr die Betroffenen selbst immer wieder den Klischees angepasst werden und wie wenige SexarbeiterInnen für sich selbst sprechen. Zwischen kritikwürdigen Medienberichten und Organisationen, die oftmals auch nur für SexarbeiterInnen sprechen können, bleibt dies der fehlende Link. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 11.6.2013)