Wien - Psychiatrische Sachverständige sind bei Richterinnen und Richtern beliebt. Schließlich vermitteln sie den Eindruck, sagen zu können, ob ein Angeklagter zurechnungsfähig ist. Oft sind die Gutachten eindeutig. Und dann gibt es Fälle wie Aleksandar B., der wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung vor Richterin Daniela Vetter sitzt.

Erst im Jänner wurde er wegen gefährlicher Drohung zu fünf Monaten bedingt verurteilt, innerhalb eines Monats soll er gleich dreimal rückfällig geworden sein. Zweimal bedrohte er jemanden mit einem Messer, einmal stach er einem Opfer mit einer Gabel in die Hand und verletzte es leicht.

Vorfall mit Jugendlichen

"Sagen Sie, wollen Sie mich verarschen?", fragt der 36-jährige Vetter zweimal während der Verhandlung, als die sich seine Sicht der Dinge erklären lassen will. Oder: "Sie stellen mir Fragen, als wären Sie meine Lehrerin!" Oder, auf die Frage, ob er je in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung war: "Nein. Wollen Sie mich beleidigen?"

Nicht das geschickteste Verhalten und doch eines, das für ihn typisch ist, was man erkennt, wenn er die Anklagepunkte kommentiert. Einmal soll er sich von einer Gruppe Jugendlicher bedroht gefühlt und daraufhin ein Messer gezückt haben. Er ging anschließend zur Polizei, um die von ihm so empfundene Bedrohung anzuzeigen - da hatten die Jugendlichen dort schon um Hilfe gerufen. Warum die erzählen, er habe "Do You want to fight?" gesagt und das Messer gezückt, ist ihm völlig schleierhaft.

Essen in einem Lokal verweigert

Im zweiten Fall wurde ihm in einem Lokal das Essen verweigert, sagt er. Er sei von der Kellnerin attackiert worden, andere Gäste wollten sich einmischen, er sei geflüchtet und habe draußen aus Angst das Messer gezogen. Im Lokal, wie Zeugen sagen, habe er die Waffe nicht in der Hand gehabt, getreten habe er auch niemanden.

Im dritten Fall will er sich in der Innenstadt mit einer Gabel selbst verteidigt haben, da drei Männer ihn bedrohten. Warum einer davon auf dem Handrücken einen Gabelstich hat? "Es war niemand verletzt", beharrt er, trotz gegenteiligen ärztlichen Attests.

Schwere Persönlichkeitsstörung

Hier kommt Sachverständige Sigrun Roßmanith ins Spiel. "Sein Verhalten hier im Saal zeigt die Problematik", sagt sie. "Er leidet an einer schweren Persönlichkeitsstörung, nimmt eigene Grenzen nicht wahr und erkennt nicht, dass er sich schadet." Nur: "Er ist ein Grenzfall, noch", verneint sie, dass er in eine Anstalt gehört. Obwohl die Prognose "nicht unbedingt günstig ist", falls er sich nicht behandeln lasse. Seine Reaktion: "Gnädige Frau, Ihnen fehlt etwas, mir nicht."

Nun ist Vetter in Wahrheit auf sich alleine gestellt. Denn wenn eine Grenze offensichtlich so schmal ist, wird sie sich bis zum nächsten Verhandlungstag überlegen müssen, ob sie auf eine Krankheitseinsicht bei B. hofft oder ihn doch einweisen lässt. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 11.6.2013)