"Ihr raubt uns die Zukunft", stellt Bernhard Winkler schon im Untertitel seines Buches "So nicht! Anklage einer verlorenen Generation" fest. Der Jungautor vermisst langfristige Entscheidungen der Politik und eine Unterstützung der Jugend. Wo der 23-Jährige trotzdem eine Bringschuld der Jugendlichen sieht, erklärt er im Gespräch mit derStandard.at.
derStandard.at: Ihr Buch heißt "So nicht. Anklage einer verlorenen Generation". Warum ist Ihre Generation eine verlorene?
Winkler: Der Begriff "verlorene Generation" ist natürlich ein sehr endgültiger und lässt wenig Spielraum für Optimisten. Konkret bedeutet er: Meine Generation ist verloren, wenn die Politik so weitergeht wie jetzt. Die Politik trachtet nur danach, den Status quo fortzuschreiben und macht sich keine Gedanken, wie Österreich im Jahr 2050 ausschauen soll, zum Beispiel wie unser Schulsystem organisiert sein wird. Es gibt kein Zukunftskonzept. Ich vermisse langfristige Entscheidungen.
derStandard.at: Sie kritisieren, Politik habe keine Ideale mehr. Was meinen Sie damit?
Winkler: Viele Politiker stimmen ihre politische Tätigkeit zu sehr auf sich selbst ab. Sie gehen in die Politik, um Karriere zu machen, ihnen fehlt der gemeinnützige Gedanke. Sie wollen nicht Dinge verändern oder die Welt verbessern. Ich glaube, dass der Wahltag nicht mehr die oberste Prämisse sein darf, auf die man als Politiker hinarbeitet. Politiker sollten sich gedanklich auch eine berufliche Alternative schaffen, einen richtigen Plan B, von dem sie sich denken, das würde ich auch gerne machen. Dann würde es auch wegfallen, dass sie schon ein Jahr vor der Wahl schauen müssen, wiedergewählt zu werden, um ihren Job zu behalten.
derStandard.at: Was würden Sie zur Rettung der Demokratie vorschlagen?
Winkler: Politik muss in der Gesellschaft ein anderes Image bekommen. Jugendliche bekommen heute von Politik nur noch Korruption und Freunderlwirtschaft mit. Wenn ich in eine Schule gehe und 14- oder 15-Jährige danach frage, was sie an Politik stört, dann sagen sie: Korruption. Ich habe in dem Alter noch nicht einmal gewusst, was Korruption ist - zumindest nicht aus der Praxis. Politik wird nur noch mit Käuflichkeit verbunden. Dabei regelt sie unser Zusammenleben. Dazu gibt es keine Alternative.
derStandard.at: Sie prangern in Ihrem Buch Politikverdrossenheit an, zeigen aber gleichzeitig Verständnis für das Desinteresse an Politik. Wie passt das zusammen?
Winkler: Ich stelle mich jetzt nicht hin und behaupte: Ich habe den Generalplan, wie alles sofort wieder funktionieren könnte und wie man die Jugendlichen von der Politikverdrossenheit wegbringt. Aber Fakt ist: Wenn ich jeden Tag nur die Schlagzeilen lese, werde ich nie erfahren, worum es bei Politik wirklich geht. Wenn ich mich nur so nebenbei mit Politik beschäftige, komme ich nicht unter die zweifelhafte Oberfläche, ich komme nicht zu den Inhalten. Die Jugend muss dazu motiviert werden, hinter die Kulissen zu blicken. Sie muss dazu bewegt werden, sich zu engagieren und nicht bei jedem Aufschrei auch mitzuschreien, sondern sich selbst zu fragen, ob er auch berechtigt ist.
derStandard.at: Gilt das nicht gleichzeitig für alle Generationen?
Winkler: Natürlich gilt das für alle Generationen, aber die Jugend hat nun einmal den größeren Teil ihres Lebens noch vor sich. Sie hat am längsten Zeit, mitzureden und mitzugestalten. Das führt mich zum nächsten Problem: Rein quantitativ ist die Jugend in der Minderheit. Sie hat eine starke Babyboom-Generation vor sich, und in einer Demokratie, in der es um Massen geht, hat die ältere Bevölkerung einfach mehr Gewicht.
derStandard.at: Sie schreiben von Ihrem Politikfrust, obwohl Sie sich als politikinteressiert bezeichnen. Wie ist es dazu gekommen?
Winkler: Im Prinzip geht es um die Diskrepanz zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was getan wird. Ich beschäftige mich mit Politik, höre mir an, was der Politiker sagt, und dann passiert wieder etwas ganz anderes. Für mich war das Buch die Entscheidung, ob ich mich noch intensiver mit Politik beschäftige und versuche mitzugestalten, oder ob ich mich wieder abwende und mich auf mich selbst konzentriere - so wie es die meisten machen. Es geht aber darum, der Jugend eine Stimme zu geben und der Politik einen Spiegel vorzuhalten. Die Parteien wissen gar nicht, was die Jugend über sie denkt. Ich will zeigen, dass die öffentliche Diskussion nicht komplett ist, wenn die Jugend nicht dabei ist. Wenn man sich eine politische Talkshow ansieht, ist es Glück, wenn jemand unter 40 dabei ist.
derStandard.at: Sie stellen in Ihrem Buch fest: "Die Politik laboriert an einer Vertrauenskrise, einer Existenzkrise und einer akuten Weltentfremdungskrise." Wie ist es dazu gekommen?
Winkler: Das ist ein Prozess, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Politik ist nicht mehr Teil des täglichen Lebens. Es ist ein Paralleluniversum, es wird nicht geschafft, politische Themen alltagstauglich zu machen oder den Menschen klar zu machen, dass diese Entscheidungen Auswirkungen auf den Alltag haben.
derStandard.at: Welche Entscheidungen meinen Sie?
Winkler: Alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bankenkrise oder die Diskussion, ob Österreich wieder den Schilling einführen sollte. Die multinationalen Entscheidungen auf den Alltag herunterzubrechen, zu hinterfragen, was das bedeuten würde, das vermisse ich.
derStandard.at: Sie schreiben auch vom Outsourcing von Entscheidungen. Was bedeutet das?
Winkler: Die Politik hat jetzt direkte Demokratie für sich entdeckt. Wenn man das zu sehr verstärkt und überdreht, stellt sich damit die Politik selbst in Frage. Wozu braucht man dann überhaupt Politiker, wenn man eh alles selber entscheiden kann? In manchen Bereichen zeigt die Politik kein Selbstbewusstsein. Das sieht man am populistischen Thema Politikergehälter. Es ist normal, dass jedes Jahr die Gehälter einer Branche an die Inflation angepasst werden. Die Parlamentsabgeordneten haben jetzt zum ersten Mal seit 2008 eine Anpassung bekommen, trotzdem gab es einen Aufschrei. In Wahrheit müsste die Politik selbst auf sich zeigen und sagen, wir brauchen Politiker. Wenn alles das Volk entscheiden kann, stehen wir vor zwei Problemen: Die Gesellschaft altert, und Jugendliche können da schwer etwas Neues bringen, weil sie zu wenige sind. Außerdem neigt der Österreicher dazu, Bewährtes fortzusetzen, anstatt Neues, Ungewisses zu wagen.
derStandard.at: Sind Sie gegen direkte Demokratie?
Winkler: Nein. In gewissen Bereichen ist mehr Demokratie sinnvoll, wie bei Volksbegehren, die ab einer bestimmten Anzahl an Unterstützern verpflichtende Konsequenzen bringen sollten. Aber man sollte nicht alle Entscheidungen an das Volk auslagern.
derStandard.at: Wie bei der Wehrpflichtabstimmung?
Winkler: Die Wehrpflichtabstimmung war für mich ein eigenes Thema. Es ist nicht um die Wehrpflicht gegangen, sondern um den Zivildienst. Die Wehrpflicht ist nicht abgeschafft worden, damit es den Zivildienst weiterhin gibt. Ich habe mir die Wählerstromanalysen angeschaut, die unter 30-Jährigen waren zu 60 Prozent für das Berufsheer, die über 60-Jährigen waren zu 70 Prozent für das alte System. Da hat man schon gemerkt, dass es zwischen den Generationen unterschiedliche Meinungen gibt und sich die alte Generation durchsetzt. Man muss sich besser überlegen, was man das Volk entscheiden lässt und wo man selbst entscheidet.
derStandard.at: Umfragen zeigen: Jungwähler wählen populistisch. Kann man mit Sachpolitik Erstwähler überhaupt erreichen?
Winkler: Leute, die Politik nur am Rande mitbekommen - und das sind die meisten Jugendlichen -, hören nur den, der am lautesten schreit. Das ist nun einmal der Herr Strache. Deswegen ist er die Nummer eins bei den unter 25-Jährigen. Aber ich will nicht nur auf Politiker hinhauen, wir Jungen müssen uns auch selbst den Spiegel vorhalten und uns mehr mit Politik beschäftigen.
derStandard.at: "Die Bürger flüchten sich in Zorn, Resignation und Sarkasmus": Helfen darüber neue Parteien wie das Team Stronach oder die Neos hinweg?
Winkler: Das Problem ist, dass viele Menschen neue Parteien wie die Neos oder "Der Wandel" gar nicht kennen. Sich das Angebot an wählbaren Parteien genau anzuschauen wäre aber auch eine Bringschuld des Volkes. Ich darf nicht warten, bis mir der reiche Herr Stronach eine Postwurfsendung zuschickt, sondern ich muss mir auch aktiv ansehen, welche Möglichkeiten es neben den etablierten Parteien gibt. Es können sich nicht alle leisten, groß Werbung zu machen. Prinzipiell würde ich es gut finden, wenn im österreichischen Parlament eine liberale Partei vertreten wäre. Es kann ja nicht sein, dass sich das BZÖ als liberale Partei präsentieren kann und niemand etwas dagegen sagt.
derStandard.at: Sie schreiben: "Die Jugend ist eine Generation ohne starke Lobby, die Politik interessiert sich weder für die Probleme noch für die Perspektiven der Jugend". Woran sieht man das?
Winkler: Ganz klar bei den Pensionen. Die SPÖ stellt sich immer noch hin und behauptet, die Pensionen seien auf Jahre gesichert. Das verstehe ich überhaupt nicht. Die Menschen werden älter, die Geburtenrate ist niedrig, die Ausbildung dauert heute viel länger als früher, das Pensionsalter ist auf einem Niveau wie in den 1990er Jahren, und die jungen Leute, die dann ins Berufsleben eintreten und Beiträge zahlen, haben niedrigere Gehälter und zahlen damit niedrigere Pensionsbeiträge. Das ist eine Realität, die man wahrnehmen muss.
Wenn die Leute länger leben, muss auch das Pensionsalter angehoben werden. Das ist Logik. Das ist für mich ein Zeichen, dass die Politik eher aufseiten der älteren Generation ist als aufseiten der Jugend. Beim Thema Klimaschutz gibt es das Kyoto-Protokoll, dessen Ziele nicht erreicht wurden. Es gibt in allen Bereichen Themen, bei denen mir einfach die Langfristigkeit fehlt. Es geht darum, dass die Generationen, die jetzt an der Macht sind, ihre Entscheidungen so treffen, dass die nächsten Generationen das nicht ausbaden müssen oder darunter leiden müssen.
derStandard.at: Jedes Jahr steigt der Anteil der Menschen mit akademischem Abschluss. Die Akademikerquote hat sich seit den 1970er Jahren vervierfacht, die Anzahl der Menschen mit Matura verdoppelt. Gleichzeitig haben Jungakademiker Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Woran liegt das?
Winkler: Der Anteil der Bevölkerung mit höheren Bildungsabschlüssen ist stärker gestiegen als das Angebot der Wirtschaft mit den entsprechenden höheren Stellenanforderungen. Es gibt einfach zu viele hoch Gebildete und zu wenige Jobs, die auf höher Gebildete abzielen. Die Konkurrenz wird dadurch stärker und der Frust steigt. Die Gleichung "Gute Bildung ist gleich guter Job" gilt schon lange nicht mehr. Ein Studium heißt heute noch lange nicht, einen Job zu finden und groß Karriere zu machen.
Wenn ich in den 1970ern am Land eine Handelsakademie-Matura hatte, hatte ich gute Chancen, einmal der Bankdirektor bei einer regionalen Bank zu werden. Heute ist die HAK-Matura schon fast Standard. Wenn man sich den Arbeitsmarkt ansieht, ist es ganz logisch, dass das zu Frustration und sinkenden Gehältern führt. Journalismus ist das Paradebeispiel dafür. Die Unternehmen wissen, wenn es einer um das Geld nicht macht, gibt es 150 andere, die sofort dazu bereit wären. Das führt dann zu der Generation Praktikum. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 12.6.2013)