Zuhören mochte er nicht wirklich. Als Stefan Füle, der EU-Erweiterungskommissar, seine Rede im Swiss-Hotel in Istanbul hielt, setzte Tayyip Erdogan seinen Kopfhörer gar nicht erst auf. Er sprach lieber mit Egemen Bagis, seinem Europaminister, der neben ihm saß. "Enttäuscht von der verpassten Chance auf der Istanbul-Konferenz, denen entgegenzukommen, die zu Respekt und Dialog mit allen aufrufen", twitterte Füle später.
Ebendazu hatte der EU-Kommissar den türkischen Premier in Istanbul aufgerufen. Die Türkei solle nicht Freiheit und Grundrechte aufgeben, mahnte Füle. "Exzessive Gewalt hat keinen Platz in einer Demokratie."
Wieder EU-Verhandlungen
Auch die EU-Außenpolitikbeauftragte Catherine Ashton meldete sich ein zweites Mal zu Wort und forderte die Türkei auf, bei den Kopenhagen-Kriterien zu bleiben. Die legen demokratische Grundbedingungen für eine EU-Mitgliedschaft fest. Die Protestbewegung in der Türkei, die in der dritten Woche anhält, verschlechtert nun das Klima zwischen der EU und ihrem schwierigsten Beitrittskandidaten. Dabei sollte beim EU-Gipfel in Brüssel Ende Juni erstmals nach einer dreijährigen Pause wieder ein Verhandlungskapitel eröffnet werden - Nummer 22, die Regionalpolitik, dann auch Energie, Soziales und - ausgerechnet - Demokratie.
Rechte: "Türkei nicht europareif"
Ob diese Rückkehr an den Verhandlungstisch das Verhalten der türkischen Regierung ändert, ist auch für viele Abgeordnete im Europäischen Parlament sehr ungewiss: "Aber die Türkei soll die Chance haben, sich zu verbessern", sagt die Grüne Ulrike Lunacek, die sich wie Othmar Karas deutlich gegen ein erneutes Aussetzen der Verhandlungen ausspricht. Sollte Erdogan sein Verhalten nicht ändern, "dann werden weitere Kapitel nicht eröffnet". Die Rechte im EU-Parlament sieht in den jüngsten Ereignissen in der Türkei den Beweis erbracht, dass das Land nicht europareif sei: "Erdogan führt sein Land von Europa weg" sagt FPÖ- Abgeordneter Andreas Mölzer, der den Abbruch der Beitrittsverhandlungen verlangt. "Die Regierung verfolgt ein Islamisierungsprinzip, will ihren Einfluss auf dem Balkan vergrößern", argumentiert er. "Erdogan fordert nicht zur EU-Integration auf, sondern zu Türkentum."
Karas hält entgegen, dass ein solcher Abbruch der Verhandlungen einer Isolierung gleichkäme, was eine Schwächung der Demokratie zur Folge hätte: "Ich halte davon gar nichts", erklärt der Abgeordnete; man müsse im Gegenteil eine öffentliche Debatte über die Ereignisse in der Türkei führen. (mab, tom, DER STANDARD, 12.6.2013)