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Großproteste wie nach den Wahlen 2009, hier eine Solidaritätskundgebung in Paris, könnte es auch diesmal geben.

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Posch über den Wahlkampf im Iran: "Was fehlt, ist zurzeit eine Debatte über Menschenrechte oder bürgerliche Freiheiten."

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STANDARD: Welche Sachthemen haben - abseits ideologischer Fragen - Irans Wahlkampf dominiert?

Posch: Obwohl das politische Feld so dramatisch reduziert worden ist, sind die Antworten auf die brennenden Fragen der Gesellschaft vielfältig. Was fehlt, ist zurzeit eine Debatte über Menschenrechte oder bürgerliche Freiheiten. Dafür geht es massiv um wirtschaftliche Fragen. Und da haben fast alle Kandidaten Zauberformeln, die vielleicht etwas populistisch scheinen. Man will etwa die Korruption eindämmen, investieren, die Wirtschaft ankurbeln. Man weiß, dass es der Bevölkerung schlecht geht, und man will das ändern. Daneben sind es Fragen, wer etwa international erfolgreich sein könnte. Hassan Rohani verspricht, so wie Ali-Akbar Velayati, eine Entkrampfung des internationalen Systems bei Wahrung iranischer Interessen. Mohsen Rezaei und Mohammed Bagher Ghalibaf haben außerdem ethnische Minderheiten und die Frage der Sunniten angesprochen.

STANDARD: Kann man Rohani wirklich als gemäßigt bezeichnen?

Posch: Es gibt im Moment eigentlich nur einen, der mit radikalen Positionen auf sich aufmerksam macht, nämlich Saeed Jalili. Alle anderen sprechen eher von Mäßigung. Ob sie privat gemäßigt sind, ist irrelevant - sie wollen nicht auf Konfrontationskurs gehen. Jalili ist interessant, weil er ein schwaches persönliches Profil hat, aber von Kleingruppen der extremen Rechten unterstützt wird, die überproportional im Regime vertreten sind. Ihr Schlagwort ist Widerstand: in der Region, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft.

STANDARD: Wie würden Sie Jalilis Chancen bewerten?

Posch: Das hängt davon ab, wie wir die Fähigkeit des Regimes sehen, noch einmal massiv zu intervenieren. Davon gehe ich eher nicht aus. Mit Ahmadi-Nejad hatte man 2009 einen Kandidaten, der in gewisse Schichten der Bevölkerung eindringen konnte. Und er war jemand, der den Sicherheitsapparat äußerst geschickt manipulieren konnte. Das ist Jalili alles nicht.

STANDARD: Sind auch diesmal wieder Proteste zu erwarten?

Posch: 2009 gab es einen Zusammenhang damit, dass auch in den Eliten wichtige Gruppen Ahmadi-Nejad ablehnten und deshalb Mir-Hossein Mussavi unterstützten, obwohl sie mit der Reform nichts zu tun haben. Die Stimmung kann aber auch diesmal durch ein falsches Wort, falsche Gesten schnell an den Punkt kommen, der die Leute wütend macht und sie auf die Straße gehen lässt.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die - mittlerweile dementierten - Gerüchte um ein Verbot der Kandidatur Rohanis?

Posch: Bei diesen Wahlen tobt der interne Machtkampf stärker als bei anderen. Offensichtlich haben die Vertreter, die Jalili zum Präsidenten machen wollen, Sorge, dass er es nicht schafft, weil er keine sehr charismatische Person ist. Solche Irrmeldungen sind Teil einer Verunsicherungskampagne.

STANDARD: Was kann ein iranischer Präsident wirklich ändern?

Posch: Er hat schon einen wichtigen Einfluss. Wenn er wirklich etwas tun will und hart darum kämpft, dann kann er schon etwas machen. Das hat man unter Mohammed Khatami gesehen, auch wenn vieles rückgängig gemacht wurde. Er kann den Ton treffen, wichtige Posten füllen, in der Außenpolitik Akzente setzen. Das Problem war bisher: Sobald Präsidenten moderater geworden sind, haben radikale Gruppen sogar zu Gewalt gegriffen, um Durchbrüche zu verhindern.

STANDARD: Werden die Leute trotz der Einschränkungen wählen gehen, oder gibt es eher Resignation?

Posch: Eigentlich sind Unzufriedenheit und Resignation so hoch, dass man erwarten müsste, dass es weniger Beteiligung gibt. Aber dem Regime ist es immer gelungen, eine Beteiligung über 60 Prozent zu zeigen. Ob das nun der Wahrheit entspricht oder nicht, es hat einen Sinn. Beteiligung wird als indirektes Referendum für die Islamische Republik gesehen.

STANDARD: Was passiert jetzt mit Ahmadi-Nejad?

Posch: Ihm ist es gelungen, einen neuen politischen Diskurs, fast auch ein neues Lager aufzubauen. Eine Mischung aus Nationalismus und Islam mit starkem Fokus auf sozialer Gerechtigkeit. Mit sehr populistischer Rhetorik, fast wie europäische Politiker. In vielen Schichten hatte er wirklich Rückhalt. Das heißt nicht, dass er eine Mehrheit hinter sich hatte. Aber von dem Lager, das nach Ausschluss der Reformisten noch übrig ist, war er sicher einer der populärsten Politiker. Was mit seinen Wählern passiert, wissen wir nicht. Er selbst wird sich vermutlich eine Zeitlang ruhig verhalten. (Manuel Escher, DER STANDARD, 12.6.2013)