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Wasser trinken, Blut spucken: Gene Simmons von Kiss wird samstags beim Nova Rock in Nickelsdorf Kinder erschrecken.

Foto: apa /Epa/Kirkman

Wie jedes Jahr präsentiert man dort auf drei Bühnen sowohl harte Musik als auch musikalische Härtefälle.

Nickelsdorf/Wien - Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass am Samstag beim Festival Nova Rock auf einem Feld an der ungarischen Grenze bei Nickelsdorf eher wenige Menschen Hello-Kitty-T-Shirts tragen werden.

Zwar haben die alten US-Comics-Rocker Kiss um Bassist und Zungenkünstler Gene Simmons gerade einen Vertrag mit dem auf weibliche Volksschulkinder spezialisierten Bedarfskonzern abgeschlossen. Dessen Angebot reicht von Ohrclips über quietschbunten Fingernagellack und Kuscheltiere bis zu Pyjamas und T-Shirts. Das bereichert das ohnehin ins Kraut schießende Merchandise der Band um weitere tausend Produkte. Die Grätsche vom Trinkbecher für die Nachmittagsbetreuung auf dem Spielplatz zum Bierhumpen für die Nacht wird allerdings nicht geschafft werden.

Kiss sind und bleiben mit ihrer blutspuckenden und feuerspeienden Flugshow über die Open-air-Felder dieser Welt seit Jahrzehnten eine Angelegenheit hauptsächlich für unbelehrbare, alt gewordene Buben, die - wie der Engländer sagt - "unter dem Einfluss" sehr gern sehr stumpfen Hardrock hören, sich etwas über Monster vorsingen lassen und eine Aufmerksamkeitsspanne und Reizschwelle besitzen, die man mit kurz und hoch schnell, schnell charakterisieren kann.

Novarock ist das größte Freiluftfestival Österreichs. An drei Tagen strömen jeweils 50.000 Besucher zusammen, um sich vorwiegend von Musik der härteren Gangart davon abhalten zu lassen, schon am Nachmittag leere Getränkedosen auf der Stirn zu zerquetschen oder Weitsprungrekordversuche über Zweimannzelte zu versuchen. Nova Rock bedeutet juvenilen Spaß vor und auf der Bühne sowie speziell am Campingplatz. Beim Motto "Drei Tage wach" gilt aufgrund der ostösterreichischen Lage schließlich, dass "wach" immer auch weiche Birne meint. Insofern sind Kiss bei Nova Rock eine sichere Bank.

Ernsthaft Blödsinn machen

Da es heutzutage nur noch wenige Bands schaffen, die Massen anzulocken, setzt das Nova Rock auf wenige Bands, die sich turnusdienstmäßig abwechseln. Metallica machen heuer Pause, die Toten Hosen ebenso. Marilyn Manson ist ein bisserl out geworden, ob es die Furcht einflößenden Gummimaskenträger Slipknot noch gibt, weiß man nicht genau.

Dafür sind Rammstein heuer wieder einmal mit dabei, Green Day haben gerade erst in Wien gespielt, stattdessen versucht man mit ursprünglich von FM4 kommenden Kinderbands wie Kings of Leon, Deichkind oder den rüstigen Sportfreunde Stiller Nachwuchsförderung im Stadionformat. Deichkind lassen sich in Gummibooten übrigens genauso gern wie Rammstein vom Publikum auf Händen tragen. Allerdings ersetzen Deichkind die Leni-Riefenstahl-Ästhetik Rammsteins gern durch Kiffer-Dada-Elemente. Beiden Acts ist beim Blödsinnmachen eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht abzusprechen.

Der beste Moment in der Geschichte der Kiss-Konzerte war übrigens, als sich die Band vor einigen Jahren vor dem Auftritt in Wels backstage von der Garderobe mit Limousinen all die 50 Meter zum Bühneaufgang hat fahren lassen. Wanderungen mit zwei Handbreit hohen Plateauschuhen über eine Kuhwiese, da steigt dir jede Versicherung aus.

Kiss spielen am Samstag übrigens nach sonnigeren Gemütern wie dem deutschen Rastamann Gentleman, der seine Platten am liebsten in zerschossenen Wohnvierteln der jamaikanischen Metropole Kingston einspielt, weil man nachts bei offenem Fenster der Authentizität wegen dort so schön folkloristische Schießereien zwischen den diversen Drogengangs hört. Wie sagte schon Bob Marley: One love! Ratatatat. Nach Kiss spielt der bayerische Rastafari Hans Söllner ebenfalls für den Weltfrieden. Dazwischen hat Gene Simmons einen Ersatzschlüssel gefunden, um die Tore der Hölle zu öffnen. Die Welt ist verrückt. Hallo, ihr kleinen Schmusekätzchen: Rock 'n' Roll.  (Christian Schachinger, DER STANDARD, 12.6.2013)