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Foto: AP Photo/Roberto Monaldo, Lapresse

Dass Radfahren in Italiens chaotischer Hauptstadt Rom kein reines Vergnügen darstellt, kümmert Ignazio Marino wenig. In seinem Wahlkampf suchte der 58-jährige Sozialdemokrat stets mit Fahrrad und Rucksack die Nähe der leidgeprüften Bewohner, die in der abgasbelasteten Drei-Millionen-Metropole mit zwei U-Bahn-Linien auskommen müssen. Viele Römer sehen in dem stets mit Jeans bekleideten Radler einen "marziano", einen Marsmenschen. Und so ganz abwegig ist ihr Eindruck nicht.

Marino gefällt sich in der Rolle des unorthodoxen Querdenkers. Als Freigeist, der Hierarchien verabscheut, schätzt er Unabhängigkeit. "Ein untypischer Kandidat", wie sein Parteichef Guglielmo Epifani anmerkt. Marino habe nicht wegen, sondern trotz seiner Partei gewonnen, spotten Kritiker im Partito Democratico.

Auch seine Karriere ist für einen Politiker durchaus untypisch. In Genua als Sohn einer Schweizerin und eines Sizilianers geboren, studierte er Medizin in Rom und Catania und spezialisierte sich anschließend in Cambridge, Pittsburgh und Philadelphia auf Chirurgie. In den USA wurde Marino ab 1992 zu einem Pionier der Leberverpflanzung. Er führte insgesamt 650 Operationen durch. 1999 gründete er in Palermo ein Transplantationszentrum, 2002 wurde er Professor für Chirurgie am Jefferson Medical College in Philadelphia.

2006 verabschiedete er sich von seiner ärztlichen Tätigkeit und wurde als Unabhängiger auf der Liste der Linksdemokraten in den Senat gewählt. Drei Jahre später trat er zu den Vorwahlen für den Parteivorsitz an und landete mit 15 Prozent auf Platz drei. Vor wenigen Monaten siegte er mit deutlichem Abstand bei den Urwahlen für das Amt des römischen Bürgermeisters, jetzt in der Stichwahl.

Nun will er der traditionsreichen Klientelwirtschaft in der Hauptstadt zu Leibe rücken. Bei der Postenbesetzung zähle künftig "ausschließlich das Curriculum". "Ich möchte die Menschen auf der Straße wieder lächeln sehen", so der Wahlsieger. Rom müsse "von Grund auf verändert", wieder zu einer lebenswerten Stadt werden, die ihre internationale Rolle zurückgewinnt.

Nach den Korruptionsskandalen der letzten Jahre verspricht Marino "Transparenz auf allen Ebenen". Nun werde "jeder Euro im Internet aufscheinen". Sein Programm formuliert der "marziano" nicht gerade bescheiden: "Mein Ziel ist die Wiederauferstehung Roms." (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 12.6.2013)